Einstieg in die Entlastung an der Uniklinik Gießen und Marburg

Neues aus dem Häuserkampf

Von Olaf Matthes

An Krankenhäusern in ganz Deutschland kämpfen die Beschäftigten dafür, dass die Kliniken mehr Personal einstellen, um die Versorgung der Patienten zu gewährleisten und die Mitarbeiter zu entlasten. An der Uniklinik Gießen und Marburg, die zur Rhön Klinikum AG gehört, haben sie nun den „Einstieg in die Entlastung“ erzwungen: In Tarifverhandlungen hat die Geschäftsleitung zugestimmt. 104 weitere Vollzeitkräfte einzustellen. Um die Geschäftsleitung zu Verhandlungen zu bewegen, mussten sie einen Tag im September und zwei Tage im Oktober streiken. „Mit dieser Einigung können wir vielleicht die schlimmsten Auswirkungen beheben, aber eigentlich fehlen rund 800 Stellen“, sagt Fabian Rehm, der für die Uniklinik zuständige ver.di-Sekretär, im Gespräch mit UZ. „An den Kliniken fehlt so viel Personal, dass jeden Tag Patienten gefährdet werden. Jeder weiß doch, dass Krankenhauskeime vermeidbar wären, wenn die Kliniken ausreichend in Personal und Hygiene investieren würden. Die Belastung ist so groß, dass die Kollegen mit ihrer eigenen Gesundheit für den Personalmangel bezahlen.“

Die verschiedenen Aktionen für mehr Personal in den Krankenhäusern sind zur bundesweiten Bewegung geworden. Die Beschäftigten der öffentlichen Uniklinik Düsseldorf planten für Mitte November einen Warnstreik, die Geschäftsleitung reagierte indem sie den Streik teilweise vor Gericht verbieten ließ. An den Helios Amper Kliniken in Bayern beschlossen die ver.di-Mitglieder, für die Entlastung zu streiken. An anderen Kliniken verhandelt der Betriebs- oder Personalrat über Betriebsvereinbarungen. Auf vielen Stationen haben die Teams angekündigt, dass sie nicht mehr an ihren freien Tagen – „aus dem Frei“ – einspringen werden, wenn der Chef anruft, weil wieder Personal fehlt. Eine Online-Befragung des Berufsverbandes für Pflegeberufe ergab im vergangenen Jahr, dass knapp 60 Prozent der Pflegerinnen und Pfleger ein- bis zweimal im Monat, rund 37 Prozent häufiger und nur vier Prozent nie kurzfristig aus dem Frei gerufen werden. „Die Klinikwut steckt an“, schätzte eine ver.di-Tagung Mitte November ein.

„Die Kämpfe an der Berliner Charité haben gezeigt, dass man im Kampf um mehr Personal etwas erreichen kann“, sagt Fabian Rehm. Dort haben die Beschäftigten 2012 begonnen, für einen Tarifvertrag zu kämpfen, der festlegt, wie viel Personal auf den Stationen mindestens eingesetzt werden muss. Sie streikten mehrmals, bis 2016 der Vertrag unterschrieben wurde – aber die Geschäftsleitung unterlief die Regelungen. Im September streikten die Charité-Pfleger wieder eine Woche – nun gilt der Tarifvertrag von 2016 wieder, aber mit neuen Regelungen, damit er auch wirklich umgesetzt wird. Auch in Gießen und Marburg hat ver.di von diesen Erfahrungen gelernt: Der neue Tarif sieht vor, dass eine Clearingstelle strittige Fragen klärt. Und ver.di hat darauf bestanden, dass, wenn die Geschäftsleitung nicht für die vereinbarte Entlastung sorgt, die Gewerkschaft den Vertrag kurzfristig kündigen und zu neuen Streiks aufrufen kann. Rehm sagt: „Denen an der Charité wurde nichts geschenkt, uns hier auch nicht.“

Der Helios-Konzern klagte gegen die Betriebsvereinbarung über Personalstandards in einem seiner Häuser. Das Kieler Arbeitsgericht bestätigte im Juli, was schon ein Berliner Arbeitsrichter im Verfahren um einen der Charité-Streiks geurteilt hatte: „Die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers endet dort, wo der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter beginnt.“ Der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele sagte: „Die Kämpfe um mehr Personal an den Krankenhäusern zeigen: Jedes bisschen Freiheit, das die Arbeiterklasse den Banken und Konzernen abnimmt, macht unser Leben ein bisschen sicherer und lebenswerter.“

Inzwischen gehört mehr als ein Drittel der Krankenhäuser in Deutschland privaten, profitorientierten Unternehmen, ein weiteres Drittel frei-gemeinnützigen, z.B. kirchlichen, Trägern. Nur noch rund 29 Prozent der Häuser gehören öffentlich-rechtlichen Trägern. Wenige Klinikkonzerne, die größten unter ihnen sind Helios und Asklepios, kämpfen um Marktanteile. Um die Rhön-Kliniken, zu denen die Gießen-Marburger Uniklinik gehört, lieferten sich diese beiden Konzerne vor einigen Jahren eine Übernahmeschlacht. Sie schicken Berater in jedes ihrer Häuser, die vorschlagen, wo Mitarbeiter entlassen werden können. Während diese Konzerne Profite machen, zwingen sie die öffentlichen Häuser, ähnlich rentabel zu arbeiten, um der Privatisierung zu entgehen.

Seit das Land Hessen die Uniklinik Gießen und Marburg 2006 an den Klinikkonzern Rhön verkaufte, hat der Konzern Personal abgebaut. Der größte Erfolg in diesen Jahren war, Entlassungen zu verhindern. Im laufenden Kampf erlebten die Kollegen zum ersten Mal, dass es möglich ist, im Betrieb eine Verbesserung zu erkämpfen. Nun müssen die ver.di-Mitglieder entscheiden, ob sie dem Tarifvertrag zustimmen. Sie sind sich einig, dass dieser Vertrag eine Verbesserung bringen würde, aber auch, dass er nicht ausreicht, damit sie die Patienten so gut versorgen können, wie sie es in ihrer Ausbildung gelernt haben. Ein Teil der Mitglieder möchte unbefristet streiken, bis es – gesetzlich oder tariflich – verbindliche Personalstandards für alle Krankenhäuser gibt.

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"Neues aus dem Häuserkampf", UZ vom 8. Dezember 2017



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