Der Beginn der Nürnberger Prozesse vor 75 Jahren

Nicht anerkannt

Am 20. November 1945 wurde in der Stadt der faschistischen Reichsparteitage das Gerichtsverfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher eröffnet. Dabei ging es nicht um die ehemaligen Anhänger des Faschismus. Es ging um die Verurteilung und Bestrafung der Urheber und Organisatoren des faschistischen Regimes, seiner Kriege und Verbrechen. Zum ersten Mal in der Geschichte standen die Hauptverantwortlichen für die Vorbereitung und Führung eines Angriffskrieges vor dem Gericht der Völker. Es war ein Gerichtsprozess gegen eine Aggression und gegen Aggressoren.

Die Prozesstage und die Ergebnisse in Gestalt der Urteile, die Erfahrungen und Erkenntnisse sind deshalb keine Frage bloßer historischer Reminiszenz, sondern theoretisch und praktisch von hoher, verpflichtender Bedeutung. Es ging darum, eine wichtige Voraussetzung für die künftige Gewährleistung eines dauerhaften Friedens zu schaffen.

Die besondere Bedeutung dieses Urteils besteht darin, dass für alle Zeiten die Vorbereitung, Planung und Führung eines Angriffskrieges als ein internationales Verbrechen gebrandmarkt wurde. Das Verfahren vor dem Internationalen Militärtribunal legte die politischen, ökonomischen und militärischen Triebkräfte für die Aggressionspolitik des deutschen Imperialismus bloß.

Die Rechtsgrundlagen des Nürnberger Prozesses, insbesondere das Londoner Abkommen vom 8. August 1945 über die Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher, sowie die Prinzipien des Nürnberger Urteils gehören zusammen mit der Charta der Vereinten Nationen und dem Potsdamer Abkommen zu den Grundlagen des allgemeinen demokratischen Völkerrechts. Sie schaffen die rechtliche Grundlage für den Beginn einer neuen Etappe im Kampf gegen die Politik der Aggression. Es ist ein Instrument, das aber bewusst und verantwortungsvoll eingesetzt werden muss!

Das Urteil von Nürnberg leistete einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung des Rechts und der Pflicht der Staaten zur Verfolgung und Bestrafung der Verbrechen gegen den Frieden, der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es begründete unwiderlegbar, dass das Prinzip der persönlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit sowie der universellen und durch keine Fristen eingeschränkten Verfolgung dieser Verbrechen eine unabweisbare Konsequenz aus dem Völkerrechtsprinzip des Verbots des Angriffskrieges darstellt.

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat schon am 11. Dezember 1946 in ihrer Resolution 95(I) einmütig die Grundsätze des Internationalen Militärtribunals und dessen Urteil anerkannt.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat am 13. März 1963 unter dem Vorsitz seines Präses Dr. Kurt Scharf eine Grundsatzerklärung beschlossen, in der es heißt: „Die Schuld, die hier zu ahnden ist, greift in ihren hintergründigen Zusammenhängen weit hinaus über das, was mit den üblichen Normen und Strafen menschlichen Rechts umfasst und geahndet werden kann.“

In der Politik des Adenauer-Staates war dagegen die Verneinung des Nürnberger Urteils nicht nur ideologische Maxime, sondern politische Praxis im Streben nach historischer Legitimierung der politischen Handlungen. Es gilt daran zu erinnern, dass in der BRD ehemalige Nazis, oft sogar Kriegsverbrecher, politisch aktiv und führend tätig waren. Dazu gehören 21 Minister und Staatssekretäre, 100 Generale und Admirale der Bundeswehr, 828 hohe Justizbeamte, Staatsanwälte und Richter, 245 leitende Beamte des Auswärtigen Amtes, der Bonner Botschaften und Konsulate, 297 hohe Beamte der Polizei und des Verfassungsschutzes.

Wenn auch nicht sie persönlich, so haben aber ihre politischen Schüler und Erben nach 1990 über DDR-Biographien entschieden und Menschen verurteilt, weil sie in Übereinstimmung mit Geist und Buchstaben von Nürnberg gehandelt und versucht haben, eine sozialistische Gesellschaft anzustreben.

All das ist im Sinne der Auflage, die der ehemalige Geheimdienstchef und spätere Minister und Vizekanzler Klaus Kinkel in seiner Begrüßungsansprache auf dem 15. Richtertag im September 1991 nicht nur der Justiz erteilt hat. Er forderte, das „SED-Regime zu delegitimieren, das bis zum bitteren Ende seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat während es unter dem Deckmantel des Marxismus-Leninismus einen Staat aufbaute, der in weiten Bereichen so schrecklich war wie das faschistische Deutschland“.

Dass die ablehnende Haltung der BRD bis in die Gegenwart anhält, zeigt ein Beschluss des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 29. 8. 2017, in dem eine Petition abgelehnt wurde, die die Anerkennung der Urteile der Nürnberger Prozesse durch die BRD verlangte. Die Petition verlangte, dass die BRD „die Urteile aus den Jahren 1945 bis 1949 ausdrücklich als Recht anerkennen und gleichzeitig damit aufzeigen solle, dass sich Deutschland gegen solche menschenverachtende Diktaturen und Verbrechen ausspreche“. Bei der Übernahme der DDR und ihrer Bürger wurde die bejahende Haltung der DDR zu den Nürnberger Prozessen eliminiert.

Die Auseinandersetzung um die Nürnberger Prozesse macht deutlich: Rechtsfragen bleiben Fragen des Klassenkampfs.

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"Nicht anerkannt", UZ vom 27. November 2020



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