Nach fadenscheinigem Indizienprozess hohe Strafen für Antifas

Nicht das letzte Wort

Anti-Repressions-Kolumne

Vier Jahre und sechs Monate beziehungsweise fünfeinhalb Jahre Haft bekamen die zwei jungen Antifaschisten Jo und Dy aus Stuttgart aufgrund eines reinen Indizienprozesses mit dem Vorwurf der „schweren Körperverletzung“ und des „schweren Landfriedensbruchs“. Dass die beiden verurteilt wurden, ist wohl für niemanden von uns eine Überraschung. Im dunkelgrün-schwarzen Baden-Württemberg gehört es seit langem zum guten Ton, kämpferische Antifas so gut wie möglich zu kriminalisieren.

380503 henning - Nicht das letzte Wort - Antifaschismus, Rechtsprechung/Prozesse/Gerichtsurteile, Repression - Politik

Das Strafmaß allerdings, also über viereinhalb Jahre für Jo und über fünfeinhalb Jahre für Dy, ist selbst für diese Verhältnisse bemerkenswert und erfordert unseren lautstarken Protest. Die beiden Aktivisten sollen, so die Anklage, bei einer Auseinandersetzung mit Mitgliedern der rechten Pseudogewerkschaft „Zentrum Automobil“ anwesend gewesen sein. Das Ganze spielte sich am Rande einer rechts-offenen „Querdenken“-Demo ab. Dafür gab es dann eine eigens gegründete „Ermittlungsgruppe Wasen“, die von vornherein darauf abzielte, antifaschistische Strukturen in Stuttgart und umliegenden Städten ins Visier zu nehmen.

Im Rahmen der darauf folgenden Überwachungsmaßnahmen und Hausdurchsuchungen wurden Jo und Dy verhaftet. Während Ersterer nach über sechs Monaten Untersuchungshaft vorläufig freikam, ist Dy bereits seit über elf Monaten in Stuttgart-Stammheim eingesperrt.

Dass ein Exempel statuiert werden sollte, war von Anfang an klar. Seit der Prozesseröffnung im April war der gesamte Prozess vom unbedingten Verfolgungswillen der Repressionsbehörden geprägt. Eine Verurteilung stand von vornherein fest. In den zwanzig Verhandlungstagen konnten die Ermittler keine tragfähigen Beweise vorlegen. Auch den geladenen Zeugen war es nicht möglich, Jo und Dy zweifelsfrei zu identifizieren. Zudem wurde ein unbekannter Polizeispitzel angeführt. Erhellendes im Sinne der Klassenjustiz hatte aber auch er nicht beizutragen. Die sogenannte Beweissammlung ging eher gegen Null, interessiert hat es das Gericht eher wenig. Am Ende blieb es mit dem Strafmaß nur sechs Monate unter der Forderung der Staatsanwaltschaft.

Die Ermittlungsarbeit der Polizei war so schlampig, dass auch vermeintliche DNA-Spuren ziemlich fragwürdig erscheinen. Umso mehr Raum erhielten hingegen die Anwälte der Nebenklage, die mit zahlreichen Anträgen den Prozess über Monate verzögerten und sich in rechten Verschwörungstheorien ergingen. So soll es eine vermeintliche Allianz der Landesregierung und der antifaschistischen Bewegung geben, die gemeinsam die „Querdenken“-Bewegung bekämpfen würde. Dem Gericht gab dieser Unsinn nicht zu denken, ging es doch darum, den Prozess inklusive hoher Haftstrafen durchzuziehen.

Ein eindeutiger Rahmen politischer Gesinnungsjustiz ergibt sich auch daraus, dass das Oberlandesgericht durchgehend im neuen Gerichtsgebäude auf dem Gelände des berüchtigten Gefängnisses Stuttgart-Stammheim tagte.

Erfreulich ist die große Solidarität für Jo und Dy. Vor dem Gerichtsgebäude hatte sich am Urteilstag, wie schon an früheren Verhandlungstagen, eine Solidaritätskundgebung versammelt, die das Urteil mit lautstarkem Protest quittierte. Für den 23. Oktober ruft die Solidaritätskampagne „Antifaschismus ist notwendig“ zu einer Demonstration unter dem Motto „Freiheit für alle Antifas!“ auf.

Es ist notwendig, sich nicht von den harten Strafen gegen die linken Aktivisten beeindrucken zu lassen, sondern sich zu solidarisieren und ihre Freilassung zu fordern. Während beispielsweise im Fretterode-Prozess die ermittelnden Beamten alle Standards ihrer Arbeit vergessen, wenn Journalisten nach einer Nazi-Attacke fast zu Tode kommen, reicht in Stuttgart selbst das kleinste wackelige Indiz aus, um solche Haftstrafen zu verhängen. Da darf das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

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"Nicht das letzte Wort", UZ vom 22. Oktober 2021



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