Zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar

Nichts zu beanstanden

Kurz nach dem russischen Eingreifen in den ukrainischen Krieg untermalten Fans von „Roter Stern Belgrad“ beim Spiel gegen Glasgow Rangers auf Bannern 25 NATO- und US-Kriege und -Putsche von Korea 1950 bis Syrien 2011 mit der Forderung „All we are saying is: Give Peace a Chance“. Das war ein feingeistiger Beitrag zur alten Debatte, ob sich der Sport – gemeint ist der Fan – in politische Fragen einmischen darf.

Darf er in Serbien, da er sich gegen die NATO wendet. Darf er in Deutschland nicht, wenn Macht und Entscheidungen der in Gesellschaft und Staat Herrschenden angegangen werden, egal ob die von Hoffenheim-Finanzier Hopp oder die des US-Wirtschaftsaußenbeauftragten Habeck.

Erlaubt ist aber, dass Fans in Bundesligaspielen zu einem Boykott der WM in Katar aufforderten. Dem Gasdeal mit dem menschenrechtlich nicht zu beanstandenden Staat Katar stand die bald danach von Ministerin Faeser geäußerte Menschenrechtskritik am energetisch nicht zu beanstandenden Staat Katar derart konträr gegenüber, dass die Bashing-Linie durchaus Schützenhilfe gebrauchen konnte. Und zwar von echten Fußballexperten, denen ihre Sorge um katarische Homophobie nicht in inneren Widerspruch zur Dauerschleife gerät, mit der ihnen – wie in Dortmund – auf der Anzeigetafel ein „Stand with Ukraine“ nahegelegt wird.

Längst und immer mischt sich die Politik in den Sport ein. Polen spielt in Katar auf Russlands Ticket; die Ukraine forderte allen Ernstes den Ausschluss des Iran, weil der Waffen für ein Kriegsgebiet liefert. Das konsequent angewandt, wäre das Teilnehmerfeld beträchtlich ausgedünnt.

Die UdSSR wurde für „Deutschland 1974“ disqualifiziert, weil sie nach dem Putsch nicht zum Entscheidungsspiel im Folterstadion in Chile antreten wollte – aber „Italien 1934“ und „Argentinien 1978“ wurden wegen deren faschistischer Diktaturen ebenso wenig boykottiert wie „USA 1994“ (und gewiss auch nicht „USA 2026“) aufgrund von Guantánamo oder rassistischer Polizei- und Justizmorde gegen Schwarze.

Und jetzt? „Katar 2022“ boykottieren angesichts von 6.500 Toten in zehn Jahren Stadionbaustellen? Im gleichen Zeitraum gab es auf dem deutschen Bau immerhin auch etwa 830 Tote; obwohl hier nicht bei 50 Grad gearbeitet wird. Und Lohnverweigerung ist auch hier gang und gäbe.

Boykottieren oder zuschauen – politisch korrekt wirkt beides nicht.

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"Nichts zu beanstanden", UZ vom 25. November 2022



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