Über Gesinnungsjustiz für die Kriegstreiber

Nie wieder?

In der UZ vom 3. November zitierte UZ den Münchener Rechtsanwalt Mathes Breuer: „Es passieren gerade Dammbrüche, was die Versammlungsfreiheit angeht.“ Tatsächlich ließe sich dazu eine UZ-Serie machen. Es vergeht kein Tag ohne neue Absurditäten. Witzig sind sie nicht. Die Proteste gegen den Völkermord in Palästina werden genutzt, um demokratische Rechte in diesem Land weiter einzuschränken. In verschiedenen Städten wurde den Demonstranten auferlegt, Deutsch zu sprechen. Die DKP in Kiel hat Einspruch gegen den rassistischen Erlass eingelegt. Es folgte der Ruf: Demonstrationsrecht nur für Deutsche.

NRWs Antisemitismusbeauftragte, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, forderte am 12. November, bei der Anmeldung einer Demonstration oder Kundgebung müsse „geprüft werden, wie die Staatsangehörigkeit ist, denn das ist eines der wenigen Grundrechte, das nur Deutschen zusteht“. Kurz darauf relativierte die ehemalige Justizministerin: „Natürlich haben Ausländer ein Versammlungsrecht.“ Aber es müsse noch intensiver geprüft werden, wer eine Versammlung anmeldet, ob es Verbindungen zu verbotenen Organisationen oder Hinweise auf frühere antisemitische oder ähnlich problematische Äußerungen gebe. Da könne natürlich auch mal ein Migrationshintergrund eine Rolle spielen.

Kann, muss aber nicht. Es geht um Gesinnung. In Frankfurt am Main wurde am 9. November eine Kundgebung „Nie wieder Faschismus – Erinnerung an die Reichspogromnacht wachhalten. Antisemitismus bekämpfen!“ verboten. Die Versammlungsbehörde begründete, die Anmelderin sei in der Vergangenheit mit „propalästinensischen bzw. antiisraelischen Thematiken in Erscheinung getreten“, habe „einseitig auf das Leid“ der Zivilbevölkerung im Gazastreifen hingewiesen und Israel „massive Kriegsverbrechen“ vorgeworfen.

Straftaten gegen jüdische Menschen werden in diesem Land gestern wie heute in aller Regel von Rassisten und Faschisten begangen. Sie spielen in der Debatte keine Rolle, werden kaum belangt. Sie werden gebraucht, wenn aus „Nie wieder Faschismus und Krieg“ das kriegslüsterne „Nie wieder ist jetzt“ – wie im Bundestag proklamiert – werden soll. Das ist das „Nie wieder“, mit dem 1999 der NATO-Angriff auf Jugoslawien legitimiert wurde und heute der Krieg gegen Russland und das Volk Palästinas gerechtfertigt werden. „Nie wieder“ – so will es die große Kriegskoalition – sollen Lehren aus der Geschichte dem Griff nach der Weltmacht im Weg stehen.

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Über die Autorin

Wera Richter, geboren 1969, ist stellvertretende Parteivorsitzende der DKP und Chefredakteurin der UZ. Die journalistische Laufbahn begann in jungen Jahren mit einem Praktikum bei der UZ mit Rolf Priemer als Chefredakteur. Damals wurde die UZ wieder Wochenzeitung. Später arbeitete die gelernte Gärtnerin im Ressort Innenpolitik der Tageszeitung junge Welt. Auf dem 20. Parteitag der DKP 2013 wurde Wera Richter zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt und übernahm die Verantwortung für die Organisationspolitik. Ein Job, den sie in der SDAJ kennen und lieben gelernt hatte. 2020 löste sie Lars Mörking als UZ-Chefredakteur ab.

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"Nie wieder?", UZ vom 17. November 2023



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