Kanzlerin des Kapitals in schwierigen Zeiten

Ohne Merkel? Unvorstellbar

Von Klaus Stein

Sonntag, 20. November, 13.00 Uhr, CDU-Präsidium: Merkel gibt ihre Kandidatur bekannt. Sie will in 14 Tagen wieder zur CDU-Vorsitzenden gewählt werden und im Herbst 2017 zur Bundeskanzlerin. 15.00 Uhr, Vorstandssitzung. Auch hier Zustimmung. Um 19.00 Uhr Pressekonferenz, pünktlich für die Nachrichtensendungen. Um 21.45 Uhr, nach dem Tatort, der die Nation vor dem Fernseher vereint, wird ein Interview eingespielt in Anne Wills Talkrunde: „Merkels Entscheidung – Das richtige Signal in unsicheren Zeiten?“ Merkel erzählt uns, wie sie mit sich gerungen, aber gewonnen habe. Für das Land, für die CDU könne sie noch was leisten, fühle sich noch fit genug.

Aufgabe der Politik ist es, hochvermittelte Prozesse dem Publikum vereinfacht darzustellen. Populisten sind die anderen. Schon die Inszenierung dieser angeblichen Entscheidungsfindung ist ein komplexer, wenn auch routiniert abgespulter Vorgang.

Von unsicheren Zeiten spricht der Titel der Talkrunde. Von schwierigen Zeiten redet der Leitantrag des CDU-Parteitags, dessen Entwurf ausgewählten Medien zur Verfügung gestellt wurde. Von Krieg ist nicht die Rede. Die CDU will Orientierung geben und grenzt sich vom Populismus von links und rechts ab. Der Begriff Modernisierungsverlierer indes, der im ursprünglichen Entwurf gestanden hatte, soll vermieden werden. Der Begriff Obergrenze, den die CSU gefordert hatte, taucht im Leitantrag nicht auf – aber es dürften nicht wieder eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Statt Multikulti oder Parallelgesellschaften will die CDU Integration und diese gegen die Integrationsverweigerer durchsetzen. „Die Ausübung des muslimischen Glaubens ist in Deutschland selbstverständlich, willkommen und geschützt.“ Aber Vollverschleierung vor Gericht, ein offenbar drängendes Problem, geht künftig gar nicht. Zur Deckung seines Fachkräftebedarfs brauche Deutschland den „gesteuerten Zuzug“ aus EU-Staaten, „aber auch von außerhalb der EU“. Die gesetzliche Rentenversicherung soll die tragende Säule der Alterssicherung bleiben, das Eintrittsalter aber noch einmal angehoben werden. Steuermehreinnahmen sind für Ausgabensteigerungen in der Außen- und Sicherheitspolitik einzusetzen, namentlich für die Landesverteidigung.

Selbstverständlich wird von den labilen Finanzmärkten, von Profiten, der Umverteilung von Arm zu Reich, der Macht der Banken und Konzerne geschwiegen. Das Interview mit der Kanzlerin reduziert die Herausforderungen der unsicheren Zeiten auf die AfD sowie auf „Digitalisierung und Globalisierung“. Beispiel: 30 000 Arbeitsplätze, die bei VW verloren gehen. Von den schrecklichen Schwestern Digitalisierung und Globalisierung ist aber auch schon im Weißbuch der Bundeswehr die Rede.

Die internationale Ordnung sei im Umbruch, heißt es dort. Unsere Kommunikation und unser Handeln werde zunehmend vom Cyber- und Informationsraum dominiert. Die Globalisierung befördere die Verbreitung von Risiken. „Dies reicht von Epidemien über die Möglichkeit von Cyberangriffen und Informationsoperationen bis zum transnationalen Terrorismus.“

Das sind die Ursachen von Kriegen, will uns das Weißbuch weismachen. Und im Vorwort sagt Merkel: „Deutschlands wirtschaftliches und politisches Gewicht verpflichtet uns, im Verbund mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern Verantwortung für die Sicherheit Europas zu übernehmen, um gemeinsam Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht zu verteidigen. Noch stärker als bisher müssen wir für unsere gemeinsamen Werte eintreten und uns für Sicherheit, Frieden und eine Ordnung einsetzen, die auf Regeln gründet.“ Es sind die Regeln des Freihandels und des ungehinderten Zugangs zu Rohstoffen, die militärisch durchgesetzt werden.

Die Kanzlerin des Großkapitals. BDI-Präsident Ulrich Grillo sorgte sich im vergangenen Jahr, dass unser Land nicht sturmfest sei und kritisierte die große Koalition. „Von großen Taten sehe ich bisher überhaupt nichts.“ Union und SPD seien dabei, den Koalitionsvertrag kleinteilig abzuarbeiten: Rentenpaket, Mindestlohn, Frauenquote, Mietpreisbremse, Maut oder Entgeltgleichheit. „Jede einzelne dieser Maßnahmen fährt uns nicht vor die Wand, aber zusammengenommen sind sie kontraproduktiv.“

Seitdem habe sich nicht viel geändert, schreibt die FAZ. Doch wünsche der BDI-Präsident der Kandidatin viel Erfolg auf der politischen Bühne – „die ich mir ganz persönlich nicht ohne eine Angela Merkel vorstellen kann“.

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"Ohne Merkel? Unvorstellbar", UZ vom 25. November 2016



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