„Perfides Zusammenspiel“

Markus Bernhardt im Gespräch mit Kerstin Dieckmann, „Duisburger Netzwerk gegen Rechts"

UZ: Auch in Nordrhein-Westfalen kommen kontinuierlich Flüchtlinge an, die untergebracht werden müssen. Sind Sie mit den bisherigen Aktivitäten der Landesregierung zufrieden?

Kerstin Dieckmann: Ganz und gar nicht. Wir stehen kurz vor dem Wintereinbruch und viele Flüchtlinge wurden in Massenunterkünften und Turnhallen untergebracht. Das sind menschenunwürdige Zustände, die vollends indiskutabel sind. Wir müssen die Menschen so unterbringen, dass elementare Rechte gewährleistet werden.

UZ: Wie soll das gehen, wenn vielerorts bezahlbarer Wohnraum fehlt?

Kerstin Dieckmann: So pauschal stimmt das ja nicht. In Duisburg stehen mehrere Tausend Wohnungen leer. Es wäre ein leichtes, Flüchtlingsfamilien dort unterzubringen. Vor allem wäre das sogar kostengünstiger als die Unterbringung der Menschen in den Massenunterkünften, die nicht nur schlecht ausgestattet sind, sondern in denen die Betroffenen nicht die geringste Privatsphäre besitzen.

Was wir brauchen, ist ein radikales Umdenken in Sachen Flüchtlingspolitik. Die etablierte Politik behauptet stetig, sie wolle Fluchtursachen bekämpfen, nicht aber die Flüchtlinge. Dies ist selbstverständlich nach wie vor die Unwahrheit. Die politisch Verantwortlichen setzen weiterhin auf eine Politik der Ausgrenzung und Abschreckung. Wir können auch gerne über die Fluchtursachen reden. Woher kommen denn die Menschen, die hier Schutz vor Krieg, Terror, Folter, Mord und Totschlag flüchten? Sie kommen aus Syrien, aus Afghanistan, aus dem ehemaligen Jugoslawien. Also mehrheitlich aus Ländern, die in den vergangenen Jahren von den USA, der EU und der Nato mit Kriegen überzogen wurden. Wenn wir die Fluchtursachen tatsächlich bekämpfen wollen, wäre der erste Schritt, die imperialistische Kriegspolitik einzustellen und aufzuhören, ganze Länder faktisch zurück in die Steinzeit bomben zu lassen, beziehungsweise offen terroristische Gruppierungen wie etwa in Syrien auch noch mit Waffen auszustatten. Der Westen trägt die politische Verantwortung für die Flüchtlingskatastrophe, nun soll er auch den Preis dafür zahlen.

UZ: Nun sind die Kommunen, die die Flüchtlinge unterbringen müssen, jedoch kaum für die Kriege verantwortlich …

Kerstin Dieckmann: Das mag sein, wenngleich viele kommunale Mandatsträger an der Kriegspolitik natürlich nichts auszusetzen haben bzw. diese unterstützen. Aber auch in den Städten und Kommunen muss ein deutliches Umdenken stattfinden. Hier in Duisburg habe ich seitens des Oberbürgermeisters Sören Link (SPD) bisher nicht selten rassistische Stimmungsmache gegen Roma-Familien und Flüchtlinge zur Kenntnis nehmen müssen. Eine Willkommenskultur, wie sie in Sonntagsreden stets gefordert wird, gibt es hier nicht. Die Stadtspitze hat sich in den vergangenen Monaten vielmehr zum Stichwortgeber für ex­treme Rechte, „Pegida“, „Pro NRW“ und AfD entwickelt. Mittlerweile werden die Aufmärsche der extremen Rechten, mit denen wir mittlerweile wöchentlich konfrontiert sind, nicht nur geduldet, es kommt gar zu einer Umkehrung von Ursache und Wirkung.

UZ: Was meinen Sie damit?

Kerstin Dieckmann: Wir haben es in Duisburg mit einem perfiden Zusammenspiel von Politik und Medien zu tun. So wurde unlängst die antifaschistische Bewegung für das Erstarken von „Pegida NRW“ verantwortlich gemacht. Sinngemäß hieß es in einem Kommentar der WAZ, dass wir die Bedeutung der wöchentlichen Aufmärsche der extremen Rechten befördern würden, weil wir uns diesen in den Weg stellen und zu Protesten aufrufen würden. Dass wir in den Augen der Politik und der Medien als das wahre Problem wahrgenommen werden, wurde uns erst am vergangenen Montag im wahrsten Sinne des Wortes wieder eingebläut.

UZ: Inwiefern?

Kerstin Dieckmann: Nachdem die Lokalpresse uns als „Problem“ gebrandmarkt hatte, ging die Polizei am Montag mit brutaler Gewalt gegen uns vor. Die Beamten setzten eine Pferdestaffel gegen friedliche Sitzblockierer ein, versuchten willkürlich Nazigegner zu verhaften und schlugen sogar gezielt auf Kinder ein, die sich in unseren Reihen befanden. Ich bin fast geneigt, mich zu fragen, wer eigentlich für Antifaschisten derzeit die größere Gefahr darstellt. Prügelnde Polizisten oder die Nazis, die sich als „besorgte Bürger“ zu tarnen versuchen.

UZ: Haben diese Vorkommnisse Konsequenzen in Bezug auf ihre künftige Mobilisierung?

Kerstin Dieckmann: Wir werden über die Konfrontationsstrategie der Polizei und der Medien beraten und unsere Schlüsse daraus ziehen. Eines kann ich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch schon sicher sagen: Wir werden weder vor den Nazis, noch vor den Schlägern in Uniform zurückweichen. Die Rechten erstarken ja derzeit nicht nur in Duisburg, sondern auch in anderen Städten. Um zu verhindern, dass sich hier eine ähnlich gut aufgestellte Naziszene wie etwa in Dortmund etabliert, ist es unabdingbar, überall dort auf der Straße zu sein, wo die Rechten aufmarschieren. Und daran werden uns weder Medien, Stadtspitze, noch polizeiliche Repression hindern.

UZ: Erhalten Sie Unterstützung aus dem, was man gemeinhin als Zivilgesellschaft bezeichnet?

Kerstin Dieckmann: Im Kern sind es die üblichen Verdächtigen, die gegen die Nazis mobil machen. Zivilgesellschaft und Gewerkschaften bleiben weitestgehend ihrer bisherigen Linie treu, die da heißt: Wir wollen nicht über jedes Stöckchen springen, dass die Rechten uns hinhalten. Würden sich Gewerkschaften und andere Organisationen endlich bewegen, hätten wir das Problem mit „Pegida“ in diesem Ausmaß nicht. Der braune Spuk hätte schon lange beendet werden können. Was sich in Duisburg jedoch derzeit abspielt, ist kaum in Worte zu fassen. Eben deswegen geht es aber auch darum, nicht nur gegen die Nazis und die Rassisten mobil zu machen, sondern auch die politisch Verantwortlichen für derlei Zustände ohne Umschweife zu benennen.

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"„Perfides Zusammenspiel“", UZ vom 11. Dezember 2015



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