Mit Unfähigkeit und Unwillen will man die vierte Welle bekämpfen

Placebos gegen die Pandemie

Während die vierte Welle Deutschland überrollt, bleibt alles beim Alten. Eventuell wird die bundesweite Inzidenz bis zum Erscheinen dieser Ausgabe die 400er-Marke überschritten haben. Sicher ist, dass die politisch Verantwortlichen in diesem Land keinen sinnvollen Plan haben werden, wie man mit der Pandemie umgeht. Denn nach mehr als 20 Monaten Versagen einer großen Koalition deuten die ersten Maßnahmen der kommenden Ampelregierung auf eine Fortsetzung des Kurses hin: Alles für die Interessen des Monopolkapitals – auf Kosten von Gesundheit und Leben der Mehrheit der Bevölkerung.

Sicher ist auch, dass keiner von ihnen die Verantwortung für das eigene Versagen übernehmen wird. Vielmehr wird weiter dummes Zeug geredet. Unisono ertönt die Story von der „Pandemie der Ungeimpften“, Deutschlands Chefvirologe, Christian Drosten, sieht das nicht so. Macht nichts.

Große Sorgen machen sich Politik und Medien um die Krankenhäuser, die seien an der Überlastungsgrenze. Nur selten hört man von den 4.000 Intensivbetten, die in den vergangenen Monaten abgebaut wurden. Dass das Personal im Gesundheitswesen seit Jahren mit Streiks kämpft, damit es den Job überhaupt noch machen kann, wird nicht in einen Zusammenhang gebracht. Dass es für ebendieses Personal für ihre Mehrarbeit in der Pandemie nur ein paar Brosamen gab, interessiert nicht. Ganz zu schweigen davon, dass durch die kapitalistische Organisation des Gesundheitswesens Gesundheit oder besser Krankheit zur Ware wird und es sich nicht „lohnt“, Intensivbetten und anderes vorzuhalten.

Wieder soll es allein die Impfung richten – jetzt das sogenannte „Boostern“. Die Impfkommission empfiehlt die Auffrischung für Menschen über 70 und Vorerkrankte. Aber was kümmert die Meinung von Wissenschaftlern einen deutschen Politiker? Alle sollen sich möglichst schnell zum dritten Mal impfen lassen, wissen die es besser. Und so kommt es wieder mal zu Schlangenbildung beim Impfen, während Hausärztinnen immer noch dabei sind, ihre alten und nicht mobilen Patienten zu impfen, da dieser Staat das zwar versprochen, aber nicht eingelöst hat.

Symbolpolitik wird betrieben mit Home-Office für die, die es eh können, und wieder kostenlosen Tests. Absurd werden dann Forderungen nach 3G-Regelungen im Nahverkehr – die sind nicht überprüfbar und nicht vereinbar mit der Beförderungspflicht im Nahverkehr. Und während 12.000 Bundeswehrsoldaten wieder zu Propagandazwecken an die Corona-Front sollen, setzt Baden-Württemberg auf Eigenverantwortung bei der Kontaktverfolgung. Die Gesundheitsämter rufen positiv Geteste nicht mehr an. Diese sollen sich eigenverantwortlich in Quarantäne begeben und die Information ihrer Kontakte „jetzt selbst und freiwillig übernehmen“.

Ausbaden werden diese Unfähigkeit und diesen Unwillen vor allem Kinder und Jugendliche. Die sind ja in den letzten Wochen die einzigen gewesen, die sich regelmäßig testen mussten. Wen wundert, dass dabei dann positive Fälle gefunden werden. Lösung: Impfen, natürlich freiwillig, wer nicht willig ist, muss halt spüren. Dann gäbe es endlich auch eine neue Gruppe, denen man die Pandemie in die Schuhe schieben kann, weil das Versagen der Politik immer deutlicher wird. Da verhallt dann auch die Aussage von Rüdiger von Kries, Epidemiologe und Jugendmediziner, im bayerischen Fernsehen zur Impfung von Jugendlichen: „Schön, aber sicherlich nicht das Entscheidende zum Überleben unserer Republik oder zum Management der Corona-Epidemie.“ Die Impfung für Jugendliche ab zwölf würde von Kries empfehlen, die Gefahr für Kinder und Jugendliche, schwer zu erkranken, sei äußerst gering. Druck auf Jugendliche, sich impfen zu lassen, sei falsch. Diese müssten „bestenfalls vor der Politik und nicht vor Covid geschützt werden“.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Placebos gegen die Pandemie", UZ vom 19. November 2021



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