10 Milliarden für die Lufthansa? „Cockpit“ signalisiert Bereitschaft zum Verzicht

Poker mit der Angst

Gelernt hat der 46-jährige Klaus Winkler Kfz-Mechaniker in einem Siebenmannbetrieb in Hamburg, trat während seiner Ausbildung in die IG Metall ein und ist jetzt – inzwischen zu ver.di gewechselt – Betriebs- und Aufsichtsrat bei der Lufthansa. Gegenüber der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung erklärte er in deren Zeitschrift „Mitbestimmung“ die Dramatik der Lage: Von 763 Flugzeugen bleiben gegenwärtig 700 am Boden. Er gehörte zu denen, die mit darum gekämpft haben, das Kurzarbeitergeld aufzustocken, denn: „Von 60 oder 67 Prozent ihres Einkommens können viele nicht leben.“

Das war im März – inzwischen haben sich die Aussichten weiter verdüstert. Aus der Delle, die mit solchen Mitteln wie Kurzarbeit vielleicht überbrückbar wäre, wird mehr und mehr ein Absturz und die Luftfahrtindustrie ist vorne mit dabei. British Airways kündigte Ende April die Entlassung eines Drittels ihrer 42.000-köpfigen Belegschaft an – viele erreichte die Nachricht im Zwangsurlaub, in den die Firma 22.000 von ihnen geschickt hatte und die ähnlich wie ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen deutlich reduzierte Lohnersatzleistungen bekommen. Wie tiefgreifend die Auswirkungen eingeschätzt werden, zeigt auch die Ankündigung des Flugzeugbauers Boeing, er wolle sich von jedem zehnten seiner Mitarbeiter trennen.

Die Lufthansa ruft in dieser Situation wie alle Unternehmen nach dem Staat und fordert ein Hilfspaket von 10 Milliarden Euro. Schon jetzt kündigt sie die Reduzierung ihrer Flotte um mindestens 100 Maschinen an. Wie groß die Not der Beschäftigten ist, zeigt sich an der am 30. April in der „Tagesschau“ verkündeten Bereitschaft der Pilotenvereinigung „Cockpit“, für zwei Jahre auf 45 Prozent der Bezüge zu verzichten, wenn die Piloten im Gegenzug Arbeitsplatzsicherheit und Kündigungsschutz erhalten würden.

Dieses Angebot geht ein in die große Pokerrunde, in der neben gestandenen Gewerkschaftern wie Klaus Winkler andere mit von der Partie sind, die die Entscheidungen unter sich ausmachen wollen – allen voran der Bundeswirtschafts- und der Bundesfinanzminister, die Kanzlerin und Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Der wehrt sich mit Händen und Füßen gegen das im Kapitalismus Naheliegende und in der jetzigen Situation schlicht Vernünftige: Wenn jemand knapp bei Kasse ist und Geld braucht, bekommt derjenige, der ihm aus der Patsche hilft, in Zukunft auch mehr Mitsprache bei der Frage, wie der Laden weiter zu organisieren ist. Mit anderen Worten: Die Lufthansa bekommt die Bundesrepublik Deutschland als Großaktionär mit Sitz und Stimme im Aufsichtsrat.

„Nein!“, ruft Spohr und will entweder zinsgünstige Darlehen oder eine sogenannte stille Beteiligung, also eine Kapitalspritze ohne Mitwirkung bei den operativen Geschäftsaufgaben. Beharre die Politik auf ihr Mitwirkungsrecht – bei der Frage der Arbeitsplatzsicherung oder vielleicht sogar der Berücksichtigung ökologischer Aspekte –, hatte Spohr zwischenzeitlich sogar gedroht, die Hansa könne auch ein „insolvenzähnliches Schutzschirmverfahren“ einleiten. Dann ist die Reputation zwar im Eimer, viele Forderungen von Gläubigern, Airport-Gesellschaften und anderen sind es dann aber auch. Die Chefpokerer scheinen wohl Halbe/Halbe gemacht zu haben – darauf deuten zumindest die bei Redaktionsschluss bekannten Informationen hin: 10 Milliarden, davon die eine Hälfte als Anteil von 25,1 Prozent, die andere als stille Beteiligung. Selbst wenn sich diese Medienberichte erhärten und die Vereinbarungen unterzeichnet sind – der Poker um Arbeitsplätze, Sozialpläne und Zukunftsszenarien beginnt erst.

Angesichts der sich zurzeit schneller als jedes Virus verbreitenden Angst um die Arbeitsplätze und die in Deutschland besonders ausgeprägte, fast krankhafte Bereitschaft, im Geiste der Sozialpartnerschaft eher auf große Teile des Lohns zu verzichten denn kleine Teile des Profits zu fordern, wird es schwer sein, Zahl und Qualität der Arbeitsplätze beim deutschen Vorzeigeflieger zu verteidigen. Rutschen dort aber Löhne und Sozialleistungen, geraten sie bei allen anderen in der Luftfahrtindustrie tätigen Unternehmen ebenfalls in die rote Zone.

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"Poker mit der Angst", UZ vom 8. Mai 2020



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