Frankreich: Kommunistischer Bürgermeister besetzt leerstehendes Bürogebäude

Raus aus dem Rattenloch

Von Georges Hallermayer

Wie „Le Monde“ berichtete, passierte letzte Woche Mittwoch in Montreuil, Region Paris, Unerhörtes: Um 6 Uhr morgens besetzte Patrice Bessac, Bürgermeister der PCF, mit 150 Arbeitsimmi­granten aus Mali das riesige Gebäude der staatlichen Agentur für berufliche Erwachsenenbildung (AFPA). Zuvor informierte Bessac die Präfektur von Seine-Saint-Denis und veröffentliche einen Erlass, das seit drei Jahren leerstehende Bürogebäude zu beschlagnahmen. Städtische Arbeiter schlossen sofort Wasser und Strom an, installierten Toiletten und eine mobile Küche. Anti-Terroreinheiten der CRS umstellten daraufhin das Gebäude, errichteten Absperrungen und und verhinderten, dass Verpflegung ins Haus gebracht werden konnte. Währenddessen rief die kommunistische Stadtratsfraktion zu einer Demonstration für den späten Nachmittag auf. Zahlreiche Unterstützer kamen, sogar eine betagte Kommunistin im Rollstuhl und mit Atemmaske sowie die Bürgermeister der benachbarten Städte Bobigny und Fontenay-Sous.Bois. Auch Gerard Cosme kam, Präsident

Versammlung vor dem besetzten AFPA-Gebäude zur Unterstützung der Bewohner des Bara-Wohnheims

Versammlung vor dem besetzten AFPA-Gebäude zur Unterstützung der Bewohner des Bara-Wohnheims

( PCF Montreuil)

der Interkommunalite Paris-Ost und Stephan Troussel, Präsident des Departement-Rates von Seine-Saint-Denis, ebenso wie der Linkspartei-Abgeordnete Alexis Corbiere. Schließlich leidet nicht nur Montreuil – 30 Prozent Sozialwohnungen – unter der Austeritätspolitik Macrons. Die CRS musste ihre Blockade nach 19 Uhr abbrechen. „Ich hoffe, dass alle verstehen, dass dies eine Gelegenheit ist, ein Problem auf humane Weise zu lösen“, wurde der Bürgermeister tags drauf in der „L’Humanité zitiert.

2013 hatte die Stadt mit dem Wohnheimbetreiber Coallia und der Wohnbauministerin Cecil Duflot eine Übereinkunft geschlossen, das Wohnheim, in dem die Kolleginnen und Kollegen aus Mali vorher wohnten, bis 2018 von Grund auf zu sanieren. Gebaut 1968 für 205 Betten, wurde das Gebäude über die Jahre völlig überbelegt und nur notdürftig instandgehalten. Aber die Mühlen der Bürokratie liefen offensichtlich im Leerlauf. Zwei Jahre lang verhandelte Bürgermeister Patrice Bessac mit Wohnhausbetreiber Coallia und dem Pariser Ministerium, die Bewohner des Wohnheims während der Sanierung des Wohnheims in dem leerstehenden Gebäude von AFPA unterzubringen. Denn das Gebäude soll erst ab 2024 den Nationalen Gerichtshof für Asylrecht und das neue Handelsgericht der Stadt beherbergen.

„Wir haben uns legalerweise in einem seit drei Jahren leerstehenden Gebäude eingerichtet“, so PCF-Bürgermeister Bessac im Interview mit „L’Humanité“. Er berief sich dabei auf eine Entscheidung des höchsten französischen Verwaltungsgerichts „Conseil d’Etat“ aus dem Jahr 1997. Es war ein „Alarmschrei“, „als Bürgermeister nicht länger zu akzeptieren, dass die Leute in einem baufälligen, gesundheitsschädlichen Gebäude leben müssen.“ Und er weiß, wovon er spricht. Er verbrachte eine Nacht in dem von Coallia betriebenen Wohnheim „Bara“, einem von fünfundzwanzig in ganz Frankreich. Das waren zwar nur einige Stunden, aber vermittelte ihm schon ein Gefühl davon, wie es ein muss, dort sein Leben verbringen zu müssen.

Er überzeugte sich selbst davon, dass die Toiletten undicht waren, Ratten umherliefen, Scheiße von der Decke tropfte. Nichts entsprach den Normen, nicht der Brandschutz und nicht der Schutz vor Unfallgefahren. „Kurz gesagt, ich stellte eine entsetzliche Lage für die Würde der Leute wie für ihre Sicherheit fest“, so Patrice Bessac. „Wenn jeder ein wenig von seinen Vorurteilen, von seinen Funktionen abrückt, werden wir eine Lösung finden.“

Bessac schlägt einen runden Tisch vor. Es geht ihm um eine würdige Bleibe für die Bewohner des Wohnheims Bara. Und er ist sicher, dass „diese Botschaft vom Premierminister, von der Präfektur und von Coallia verstanden wird und dass der Dialog in den kommenden Tagen wiederaufgenommen wird“.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Raus aus dem Rattenloch", UZ vom 5. Oktober 2018



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit