Washington und London versuchen militärische Auseinandersetzung herbeizureden

An der Schwelle des Krieges

Die atlantischen Kriegstrommeln dröhnen seit letzter Woche noch einmal um einiges lauter. Seit Monaten haben Washington und die mit ihm verbundenen Kriegsmedien vor einer unmittelbar bevorstehenden russischen Offensive gegen die Ukraine gewarnt. Bislang ist nichts dergleichen passiert. Nun haben US-Präsident Joseph Biden und auch US-Sicherheitsberater Jacob Sullivan nachgelegt und einen Angriff noch während der Olympischen Winterspiele angekündigt. Auch der britische Premier Boris Johnson hatte bei seinem Besuch im NATO-Hauptquartier am letzten Freitag den „russischen Truppenaufmarsch“ als die „größte Sicherheitskrise, mit der Europa seit Dekaden konfrontiert“ sei, plakatiert. Die CIA hatte auch schon ein Datum genannt: den 16. Februar. Wenn Olaf Scholz am Dienstag nach Moskau reisen sollte, werden also die Kanonen geladen und die Bomber aufgetankt. Mit Flächenbombardements und Raketenangriffen wird es losgehen, wusste Sullivan. „Kann Scholz Putin stoppen?“, alarmiert da der „Tagesspiegel“. Für „Bloomberg“ war die Invasion „versehentlich“ schon losgegangen. Die USA, Britannien und weitere enge US-Verbündete haben ihre Bürger aufgefordert, die Ukraine zu verlassen, und begonnen, ihr Botschaftspersonal abzuziehen. Russland hat wiederholt erklärt, keine Invasionspläne zu haben und niemanden zu bedrohen. Selbstverständlich ist das nutzlos. Wer einen Krieg herbeireden oder -schreiben will, stört sich nicht an Fakten.

Die britisch-US-amerikanischen Kriegstreiber versuchen die Selbstmordbereitschaft des Selenski-Regimes mit Waffenlieferungen und der Stationierung von Truppenverbänden anzufachen. Dabei hat Biden unmissverständlich klargemacht: Waffen ja, aber keine GIs gegen die russische Armee. Das Risiko, sich nach der Afghanistan-Blamage erneut eine blutige Nase zu holen, ist selbst für die Abenteurer in Washington inakzeptabel. Seit Monaten hatte Kiew die US-Kriegsmaschine in seinen geplanten Krieg zur Rückeroberung der Donbass-Republiken und der Krim einzubinden versucht. Nun geht Wladimir Selenski spürbar vom Gas. Er warnte wiederholt vor Panikmache. Die ukrainische Wirtschaft steht angesichts des Kriegskurses schon jetzt vor dem Kollaps. Andererseits kann er die Lage nicht schwarz genug malen, um die „westliche“ Unterstützung am Laufen zu halten. Es darf daher bezweifelt werden, dass in Kiew immer rationale Akteure am Werk sind. Das gilt im Besonderen auch für die faschistoiden Verbände, die Teil der ukrainischen Armeestrukturen geworden sind. Hier ist auch eine „False Flag“-Variante nicht auszuschließen – eine Art aktualisierter Überfall auf den Sender Gleiwitz, der seinerzeit Hitler „ermächtigte“, ab 5.45 Uhr zurückzuschießen.

Wie selbstverständlich hatte Biden auch die Blockade der Pipeline Nord Stream 2 in seine Drohungen gegen Russland einbezogen. Die deutsche Souveränität ist hier kein ernsthafter Diskussionsgegenstand – schließlich sollen es die härtesten Maßnahmen seit Anfang der Zeitrechnung, sozusagen die Mutter aller Sanktionen werden. Annalena Baerbock war im NATO-grünen vorauseilenden Gehorsam beigesprungen und verkündete: „Deutschland“, also wir alle, sei bereit, „einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“ – damit es in der Ukraine endlich mit dem Krieg losgehen kann, ist man geneigt zu ergänzen. Bei dieser Massierung politisch-strategischer Sonderbegabungen fällt sogar der Besuch Emmanuel Macrons in Moskau positiv aus dem Rahmen. Der französische Präsident war immerhin bereit, sich dem von Russland aufgeworfenen Thema zu stellen: eine europäische Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands und unter Berücksichtigung des Prinzips der unteilbaren Sicherheit zu entwickeln. Hier liegt das eigentliche Kernproblem des Konflikts. Und die Erkenntnis, dass Sicherheit nicht einseitig, sondern nur auf Basis einer gemeinsamen, für alle gültigen europäischen Architektur erreichbar ist, war vor 20 Jahren schon einmal der Standard des strategischen Denkens in Europa. Heute stehen wir an der Schwelle des Krieges.

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"An der Schwelle des Krieges", UZ vom 18. Februar 2022



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