„Pakt der Korrupten“ will Wahlergebnis in Guatemala nicht anerkennen

Schlechte Verlierer

Thorben Austen, Quetzaltenango

Eine Woche nach dem überraschenden Wahlergebnis in Guatemala haben neun Parteien vor dem Verfassungsgericht durchgesetzt, das Wahlergebnis vorläufig zu suspendieren. Bei den Wahlen am 25. Juni war überraschend die linkssozialdemokratische Partei „Movimiento Semilla“ mit dem Präsidentschaftskandidaten Bernardo Arévalo auf 11,8 Prozent der Stimmen gekommen und erreichte hinter der Erstplatzierten, zum herrschenden Block gehörenden Sandra Torres von der „Einheit der Nationalen Hoffnung“ (UNE) die Stichwahl. Torres kam auf etwa 15 Prozent der Stimmen.

Am vergangenen Samstag beschloss das Verfassungsgericht, das Wahlergebnis vorläufig nicht anzuerkennen und wies das Wahlgericht an, die Stimmen erneut zu überprüfen und gegebenenfalls nachzuzählen. Nur kurz nach Bekanntwerden dieser Entscheidung gab es eine Protestkundgebung vor dem Verfassungsgericht, die Teilnehmer forderten „ihre Stimme zu respektieren“. Movimiento Semilla legte am Sonntag Widerspruch gegen die Entscheidung ein, Präsidentschaftskandidat Arévalo stellte auf einer Pressekonferenz am Sonntag fest, die Entscheidung gefährde „nicht nur das Wahlergebnis, sondern auch das Wesen der Demokratie“.

Auch im Vorfeld waren die Wahlen von Ausschlüssen und einer undemokratischen und autoritären Entwicklung überschattet. Vier Kandidatenduos – die Linken Thelma Cabrera und Jordán Rodas, die für die Partei „Bewegung für die Befreiung der Völker“ (MLP) kandidieren wollten, sowie rechte Kandidaten – wurden von der Wahl ausgeschlossen. Beobachter hatten vermutet, dass die Ausschlüsse dem Zweck dienen sollten, die rechtsextreme Tochter des Ex-Diktators Efraín Ríos Montt, Zury Ríos, ins Präsidentenamt zu hieven. Die Kandidatin kam am Ende nur auf 6,6 Prozent der Stimmen und den sechsten Platz. Aufgrund der zahlreichen Ausschlüsse im Vorfeld gaben viele Wähler – wie erwartet – ungültige Stimmen ab, insgesamt wählten fast 25 Prozent ungültig. In zwölf von 22 Departamentos erreichte das „Voto nulo“ sogar den ersten Platz, auch war die Wahlbeteiligung mit gut 60 Prozent relativ niedrig.

Bei den gleichzeitigen Parlamentswahlen wurde die Noch-Regierungspartei „Vamos“ des amtierenden Staatschefs Alejandro Giammattei mit 39 Abgeordneten die größte Fraktion, gefolgt von der UNE mit 28 Sitzen. Semilla wird 23 Abgeordnete in den Kongress entsenden. In der aktuellen Legislaturperiode stellt die Partei nur sieben Abgeordnete.
Der Wahlerfolg der Semilla kam überraschend, aber nicht aus dem Nichts. Die Partei entstand 2015 aus den großen Antikorruptionsprotesten, die nach Bekanntwerden eines Korruptionsskandals im Umfeld der damaligen Staatsspitze um Otto Pérez Molina und Roxana Baldetti Zehntausende mobilisierten. In den Folgejahren schlossen sich die herrschenden Eliten aus Oligarchie, Unternehmerverband CACIF, korrupten Politikern und Teilen der organisierten Kriminalität zum sogenannten „Pakt der Korrupten“ zusammen und begannen, alle Instanzen des Staates zu kontrollieren. Infolgedessen mussten zahlreiche unabhängige Juristen und kritische Journalisten ins Exil gehen. In sozialen Netzwerken wird angesichts eines möglichen Wahlsiegs von Semilla über eine baldige Rückkehr der Exilierten spekuliert. Semilla nahm 2019 erstmals an den Wahlen teil. Ihre Präsidentschaftskandidatin, die ehemalige Generalstaatsanwältin Thelma Aldana, wurde von den Wahlen in dem Jahr ausgeschlossen und musste in die USA ins Exil fliehen. Die Abgeordneten von Semilla machten aber in der auslaufenden Legislaturperiode eine offensive Oppositionspolitik. Präsidentschaftskandidat ist der 1958 in Uruguay im Exil geborene Sohn des „Revolutionspräsidenten“ Juan José Arévalo Bermejo, der Guatemala als erster demokratisch gewählter Präsident nach der Revolution vom Oktober 1944 von 1945 bis 1951 regierte.

Die politisch links von der Semilla stehenden Kräfte schnitten schlecht ab. Die erst 2018 gegründete MLP, die 2019 bei den Präsidentschaftswahlen noch überraschende 10,2 Prozent der Stimmen erreichte, war durch den Ausschluss ihrer Präsidentschaftskandidaten geschwächt und kam bei den Parlamentswahlen nur noch auf 1,3 Prozent. Weil sie keinen Abgeordneten mehr ins Parlament entsendet, wird sie aufgrund des restriktiven Parteiengesetzes sogar ihren Status als politische Partei verlieren. Führende Personen der Partei machten aber deutlich, dass dies für die aus der Landarbeiterorganisation Codeca (Komitee für bäuerliche Entwicklung) hervorgegangene Partei keineswegs das Ende ihrer politischen Aktivitäten sein werde und sie ihren Kampf für grundsätzliche Veränderungen und „einen plurinationalen Staat“ fortsetzen werden.

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"Schlechte Verlierer", UZ vom 7. Juli 2023



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