„Wirtschaftsweise“ Schnitzer: Renten deckeln, Eintrittsalter anheben

Schöne neue Rente

Es hat sich in den letzten Jahren ein äußerst wirkungsvolles Konzept etabliert: Sozialer Kahlschlag wird schlicht als alternativlos dargestellt, um neoliberale Politikkonzepte durchzusetzen. Die Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“, Monika Schnitzer, verfeinerte diese Methode in der vergangenen Woche, indem sie Sozialabbau sogar als Umverteilung mit sozialer Komponente verkaufte. „Sollte die Politik das Rentensystem nicht umfassend reformieren, drohen dramatische Folgen. Kein Geld für Bildung, für Verkehrswege, für erneuerbare Energien. Ich habe große Sorge, dass das hinten runterfällt“, so die Münchner Wirtschaftswissenschaftlerin in der „Süddeutschen Zeitung“. Daher soll unter den Rentnern umverteilt werden und besonders hohe Renten künftig abgeschmolzen werden. „Wer doppelt so viel in die Rentenkasse einzahlt, sollte nicht mehr automatisch doppelt so viel herausbekommen“, so Schnitzer. Dabei ignoriert die Wirtschaftsprofessorin das verfassungsrechtlich geschützte Äquivalenzprinzip, demzufolge den eingezahlten Beiträgen entsprechende Leistungen gegenüberstehen müssen.

Unabhängig von diesen rechtlichen Vorbehalten ist die vorgeschlagene „Umverteilung“ unter den Rentnern eine Phantomdiskussion. Sie wird die heraufbeschworenen Finanzierungsprobleme in der Rentenversicherung nicht lösen. Um rund 2.962 Euro brutto beziehungsweise 2.636 Euro netto Rente zu erhalten, müssten Lohnabhängige 2022 vorher 45 Jahre durchgängig den Höchstbetrag in die Rentenkasse eingezahlt haben. Rentner mit entsprechend hohen Altersbezügen lassen sich daher an einer Hand abzählen.

Aber Monika Schnitzer würde nicht zu den führenden Köpfen neoliberaler Think Tanks gehören, hätte sie nicht – neben der Entkopplung der Höhe der Löhne und Renten – noch weitere Vorschläge, um die gesetzliche Rente sturmreif zu schießen. „Wenn man das Rentenniveau so wie geplant halten und gleichzeitig die Beitragssätze begrenzen will, dann müsste noch viel mehr Geld aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse fließen“, erklärte die Wirtschaftswissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkt Wettbewerbspolitik und Innovationsökonomik in der „SZ“. Derzeit zahle der Bund pro Jahr bereits 110 Milliarden Euro für die Renten, ein Viertel des Haushalts. „Wenn wir es so laufen lassen, müsste der Bund in 25 Jahren mehr als die Hälfte des Haushalts dafür ausgeben.“

Ein Schelm, der diese Äußerungen als Bewerbung der sogenannten „Aktienrente“ – auch „Generationenkapital“ genannt – interpretiert. Bundesfinanzminister Christian Lindner will mit diesem Projekt einen dreistelligen Milliardenbetrag am Kapitalmarkt anlegen, um – so die offizielle Lesart – vom Ende der 2030er Jahre an das Rentensystem zu stabilisieren (UZ vom 13. Januar 2023). Es sollten über einen Zeitraum von 15 Jahren zehn Milliarden Euro pro Jahr aus Steuermitteln bereitgestellt werden, so der FDP-Vorsitzende auf einer Veranstaltung am vergangenen Freitag. Zuvor hatte sich auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil für eine langfristige Absicherung der Rente auf dem Kapitalmarkt ausgesprochen. Der Nachrichtenagentur dpa sagte er: „Um langfristig Vorsorge zu treffen, schaffen wir ein Generationenkapital in Form einer Aktienrücklage für die gesetzliche Rentenversicherung.“ Dieses Vorhaben wird sicher auf breite Zustimmung der Akteure am Aktienmarkt stoßen.

Neben diesen „Innovationen“ in der Rentenpolitik darf eine alte Forderung aus der neoliberalen Mottenkiste nicht fehlen. Geht es nach Frau Schnitzer, soll das Renteneintrittsalter „allmählich bis auf 70 angehoben werden“. Als Begründung für diese Rentenkürzung muss – wie schon in der Vergangenheit – die Demographie herhalten: Auf immer mehr Rentner kommen immer weniger Beitragszahler. So waren es nach dem Zweiten Weltkrieg sechs Beitragszahler auf einen Rentner. Heute sind es nur noch zwei. Verschwiegen wird bei dieser Argumentation, dass jeder Beitragszahler heute im Schnitt dreimal so produktiv ist wie damals. Dem technischen Fortschritt sei Dank, gäbe es gesamtwirtschaftlich also kein Problem, anständige Renten zu zahlen. Die „bedauerlichen Opfer“ einer solchen Rentenpolitik wären dann jedoch „notleidende“ Versicherungskonzerne und Börsenspekulanten.

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"Schöne neue Rente", UZ vom 20. Januar 2023



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