Die Südafrika-Krimis von Malla Nunn

Schönes Land, verdorbene Gesellschaft

Detective Sergeant Emmanuel Cooper hat Schreckliches gesehen auf den Schlachtfeldern in Europa, seitdem wohnt in seinem Kopf – manchmal, wenn es ganz schlimm wird – ein schottischer Major, der ihn anbrüllt. Von dem lässt er sich aber nicht ins Bockshorn jagen, sondern geht munter seinem Job als Ermittler nach und keiner Auseinandersetzung aus dem Weg, so unangenehm auch die persönlichen Konsequenzen für ihn sein mögen. Das ist aber nicht das Erstaunliche an dem Detective. Das Erstaunliche an Emmanuel Cooper ist, dass er kein Rassist ist. Denn es ist 1952 in Südafrika, die unerträglichen Rassengesetze sind gerade noch einmal verschärft worden, selbst der flüchtigste Kontakt ist nun ein Verbrechen und in seinem ersten Fall bekommt Emmanuel Cooper das in der Provinz aufs Eindringlichste vorgeführt: „Acht Jahre nach den Stränden der Normandie und den Ruinen von Berlin erging man sich in der afrikanischen Savanne immer noch über den Volksgeist und die Reinheit der Rasse.“

Der Polizeichef des Nestes Jacob‘s Rest ist ermordet worden und die fünf Söhne des Buren drängen auf Rache und mit ihnen das ganze Dorf. Alle sind sich sicher, es muss jemand „von Auswärts“ gewesen sein, denn hier gibt es „keinen Ärger“ zwischen „den Gruppen“ – doch je länger Cooper ermittelt, desto mehr Risse tun sich auf in dem scheinbar der Ordnung von Bibel und Apartheid unterworfenen Nest. Als dann auch noch die Special ­Branch auftaucht und Cooper kaltzustellen versucht, ermittelt er mit dem „Eingeborenen-Detective“ Samuel Shabalala und dem jüdischen Chirurgen Daniel Zweigman, der Buchenwald überlebte, um nun am Ende der Welt einen Krämerladen zu betreiben, weiter. Was sie herausfinden, könnte die Ordnung nicht nur in Jacob‘s Rest erschüttern.

Mit „Ein schöner Ort zum Sterben“, dem Auftakt des Zyklus um den erstaunlichen Ermittler Emmanuel Cooper, hat Malla Nunn nicht nur einen Krimi geschrieben, auch wenn es ein ungewöhnlich guter ist, sondern vor allem ein Porträt der südafrikanischen Gesellschaft gezeichnet, in dem sie das hässliche Gesicht des Apartheidalltags darstellt. „Ein schöner Ort zum Sterben“ und „Lass die Toten ruhen“ waren auf Deutsch lange vergriffen, nun sind sie vom Ariadne-Verlag, in dem bereits Band 3 und 4 erschienen waren, nachträglich mit in die Reihe aufgenommen worden – in neuer Übersetzung, die stellenweise bitter nötig war.

Und so können wir nun Cooper, Shabala und Zweigman durch die Hölle einer Gesellschaft folgen, in der sich ein Teil der Menschen zu Überlegenen erklärt hat. Nunn zeigt dabei nicht nur die Abgründe der Apartheid auf, sondern auch die Konflikte zwischen den ersten, den burischen Kolonialherren und den ihnen nachfolgenden Engländern, die genauso aus rassistischen Vorurteilen bestimmt werden. Sie nimmt uns mit in die Slums von Durban, in denen auch die Mitglieder der „weißen Herrenrasse“ in bitterster Armut vegetieren und ein kleiner Junge, früh zum Geldverdienen gezwungen, nachts an den Docks ermordet wird. Sie lässt die drei zum Tod der Tochter eines Zulu-Häuptlings ermitteln und schließlich in die Townships von Johannesburg zurückkehren, in denen Cooper einen Teil seiner Kindheit verbracht hat.

Nunn ist dabei an keiner Stelle plakativ, das hat sie nicht nötig, ihre Krimis bieten neben einem spannenden Plot und der Beschreibung einer Gesellschaft, die Leserin und Leser wütend zurücklässt, eine Sprache, die gleichzeitig detailliert und zurückhalten ist, wohltuend befreit vom Voyeurismus vieler heutiger Krimis und doch in der Lage, Leserinnen und Leser direkt an einen Ort zu versetzen. Man spürt die unerbittliche Sonne und die Trockenheit der Savanne, die Enge der Townships, sieht das grüne, gut gepflegte Gras hinter den Mauern der weißen Herrschaftshäuser, schmeckt den Whiskey, den Cooper nach manchen Ermittlungstagen bitter nötig hat.

Dabei ist Nunn in der Lage, die Unterdrückung noch durch die kleinste Geste darzustellen: Wenn Cooper und Shabalala sich durch einen Blick absprechen, wer zuerst spricht, wenn Shabalala sich den Hut vom Kopf reißt, um den Apartheidgepflogenheiten zu entsprechen. Und sie macht das sichtbar, worin sich im Südafrika der 1950er Jahre Unterdrücker und Unterdrückte einig sind: Egal wie niedrig die Stufe ist, auf der man selber steht, Frauen stehen immer noch mindestens eine Stufe drunter. Schwarze Frauen sind Freiwild für weiße Männer, obwohl der sexuelle Kontakt strengstens untersagt ist, aber auch weiße Frauen haben keine Rechte. Wenn sie sich diese trotzdem nehmen, dann nur im Verborgenen, gut versteckt vor Vater, Bruder und Gesellschaft.

Emmanuel Cooper navigiert sich mit Hilfe seiner Freunde Shabalala und Zweigman durch den Dschungel von Apartheid und weißen Machtspielen und riskiert mehr als nur einmal Leben und Karriere. Er tut es, weil er sich – trotz aller Kriegstraumata – sicher ist: Dafür, dass ein solches Südafrika existiert, hat er nicht gegen die Nazis gekämpft.


Malla Nunn
Ein schöner Ort zum Sterben
Lass die Toten ruhen
Tal des Schweigens
Zeit der Finsternis
Ariadne im Argument-Verlag, 13,- bzw. 15,- Euro
Erhältlich unter uzshop.de


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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Schönes Land, verdorbene Gesellschaft", UZ vom 21. Oktober 2022



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