Der neue Film von Laura Poitras

Schönheit und Blutvergießen

Ihr ältere Schwester nimmt sich das Leben, ihr Eltern verheimlichen das. Mit 14 verlässt sie deswegen ihr dysfunktionales Elternhaus in der spießigen Vorstadt, findet Kunst und Künstler-Kollegen, aber auch Drogen und sexuelle Ausbeutung. Dann raubt Aids ihre Freunde – einen nach dem anderen. Einfach war das Leben der Fotografin Nan Goldin nie, heute ist sie eine der bedeutendsten Fotografinnen in der weltweiten Kunstszene.

In ihrem neuen Dokumentarfilm „All the beauty and the bloodshed“ porträtiert die Regisseurin Laura Poitras nicht (nur) das bewegte Leben der Nan Goldin, sondern vor allem ihren Kampf gegen eine der mächtigsten Familien der USA, die Sacklers. Also der Familie, die die Verantwortung für den Tod von fast einer Million US-Amerikaner trägt.

Nachdem Purdue Pharma, die Firma der Sacklers, mit der Vermarktung und dem Verkauf von Valium ein Vermögen gemacht haben (Mothers little helper, völlig ungefährlich, man erinnert sich) sollte ein neuer Verkaufsschlager her. Mit dem schwer abhängig machenden Schmerzmittel Oxycodon war der Verkaufsschlager schnell gefunden und die Marketingstrategie für Valium wurde für das neue Produkt perfektioniert: Beginn der Kampagne in Gegenden mit Farmen und Bergbau, wo es schwere, schmerzhafte Arbeitsunfälle gibt, bestochene Ärzte, gefälschte Gutachten – die Opioidkrise in den USA hatte begonnen (Siehe UZ vom 3. Dezember 2021). Eine Epidemie, wie Goldin sie in dem Film nennt.

Goldin selbst wird in Berlin nach einer Operation von dem Schmerzmittel abhängig, anders als viele schafft sie es, wieder davon loszukommen – und nimmt den Kampf gegen die Sacklers auf, genauer gesagt, gegen die Zusammenarbeit der Kunstszene mit den Sacklers. Denn die Museen in aller Welt sind Komplizen dabei, dass die Sacklers trotz ihrer verbrecherischen, menschenverachtenden Konzernpolitik den Ruf von Philanthropen haben: Vom Metropolitan Museum of Art in New York über die National Portrait Gallery in London bis zum Louvre in Paris haben die führenden Museen der Welt Spenden der Sacklers angenommen, schmückt ihr Name einzelne Flügel. Poitras folgt Goldin zu den Treffen ihrer Aktionsgruppe, die Flashmobs gegen die Familie Sackler in Museen durchführen, wendet sich aber bald der persönlichen Geschichte Goldins zu: ihrer Schwester, ihrer Liebe, dem Kampf um einen Platz in der Kunstwelt und dem, den sie mit ihren erkrankten Freunden gegen die Krankheit Aids geführt hat und gegen die Gesellschaft und Regierung, die nicht gegen die „Schwulenseuche“ vorgehen wollte. Eindrücklich sind dabei Goldins eigenen Arbeiten, zum Beispiel aus der Reihe „Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit“, eine in den 1980er Jahren von Goldin begonnene Diashow mit Musik, die von händchenhaltenden greisen Pärchen über verliebte Jünglinge, Prostituierte beim Geschlechtsverkehr und zerschundene Gesichter von ihren Partnern geschlagener Frauen alles zeigt,was sich unter den Schlagwörtern Sexualität, Abhängigkeit, Missbrauch und Liebe zusammenfassen lässt.

Immer wieder kehrt die Regisseurin aber zu den Museen und der Familie Sackler zurück – auch zu dem Widerspruch, denn in den Museen, in denen Goldin teils spektakuläre Aktionen startet, hängen ihre eigenen Arbeiten oft in der Sammlung. Poitras begleitet Goldin auch bei ihrer Aussage vor einem Ausschuss zur Opioidkrise in dem sie eindringlich für Medikamente plädiert, die dabei helfen, die Einnahme von Opioiden zu beenden – sie selbst nimmt sie, um nicht rückfällig zu werden. Von dieser Hilfe wissen die meisten Ärzte in den USA nichts. Und sie wohnt dem Zoom-Call bei, in dem sich Angehörige der Sackler-Familie die bitteren Geschichten der Hinterbliebenen ihrer Opfer anhören müssen. Ausdruckslose, wächserne Gesichter, die nur an an der Anhörung teilnehmen, um der Strafverfolgung zu entgehen. Purdue Pharma ist heute offiziell insolvent, die Sackler-Familie hat vorher ihr Geld in Sicherheit gebracht und sich mit einer Anhörung und der Zahlung von 4,5 Millionen US-Dollar freigekauft.

Nan Goldin hatte Erfolg. 2021 weigerte sich die National Portrait Gallery eine Spende der Sacklers von einer Million US-Dollar anzunehmen, die Tate Gallery und das Guggenheim-Museum folgten ihrem Beispiel. Der Louvre tilgte 2021 den Namen Sackler aus seinen Gebäuden. So werden die Sacklers in Zukunft nicht mehr als Philanthropen bekannt sein. An den Folgen ihrer Profitgier sterben weiterhin jeden Tag 200 Menschen.

All the Beauty and the Bloodshed
Regie: Laura Poitras
Im Kino

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Schönheit und Blutvergießen", UZ vom 26. Mai 2023



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