„Spartacus“ über die Katastrophe, in die die offizielle sozialistische Politik geführt hatte

Schwäche, verdeckt mit Pomp

„Nicht von außen, sondern von innen brach die Katastrophe über die proletarische Klassenbewegung; nicht aus Zufälligkeit, sondern als notwendiges Ereignis des Zustandes, in dem sie sich beim Kriegsausbruch befand.

Voraussetzung aller politischen Macht ist Aktionskraft, Voraussetzung aller Aktionskraft ist Einheitlichkeit des Willens und deren Voraussetzung wiederum: Einmütigkeit über Ziel und Mittel der Aktion. Diese Voraussetzungen bestanden in den sozialistischen Parteien für die Bedürfnisse des Alltags, sie fehlten fast überall für die letzten großen Fragen. In Staat und Wirtschaft, in der inneren und äußeren Politik drängte es vor dem Krieg auch in Deutschland, und dort vor allem, zu den großen Entscheidungen. Die deutsche Sozialdemokratie wich ihnen aus; sie fühlte sich schwach, und sie war umso schwächer, je mehr sie ihre Gebresten unter dem pomphaften Mantel gewaltiger Worte und Zahlen verdeckte. Auch die Internationale wich aus: ein halb Dutzend Mal ergoss sie sich in Bannflüchen gegen den drohenden Weltbrand; nicht ein Mal ward von ihr die Grundfrage eindeutig gestellt, eindeutig beantwortet; nicht ein Mal fasste sie ein klares Aktionsprogramm gegen den Krieg: und auch sie vermochte es nicht über sich, ihre Mängel schonungslos zu enthüllen und so den einzigen Weg zur Kraft zu beschreiten.

Diese innere Unwahrhaftigkeit der offiziellen sozialistischen Politik führte zu dem ungeheuerlichen Ausmaß der Enttäuschung vom August 1914, der Enttäuschung, die gerade, weil sie nur eine Aufklärung war, die Internationale dem Gespött überlieferte. Sie hatte jenen Fehler der politischen Rechnung veranlasst, der bis zum August 1914 die politische Bewegung falsch einstellte und die dann einsetzende Verwirrung umso heilloser gestaltete. Und die Schwäche der Bewegung selbst war, wechselwirkend und in gegenseitiger Steigerung, dieser inneren Unwahrhaftigkeit, dem von Wort und Zahl genährten Machtwahn, der unter der Flagge der ‚Einigkeit‘ betriebenen Vertuschungspolitik mit zu danken. Sie hinderten die prinzipielle und taktische Durchbildung des Proletariats, seine ernsthafte Vorbereitung zu schlagfertiger Aktion im entscheidenden Augenblick, halfen die Massen in den Instanzenkäfig sperren, setzten ohnmächtige Ekstase statt Tatkraft, klappernde Routine statt freier Initiative. (…)

Immer weitere Kreise erkannten, dass Vertuschung der Gegensätze und Einigkeitstrug der Übel größte sind und die Partei des internationalen und revolutionären Sozialismus, um ihre geschichtliche Aufgabe zu lösen, im Sozialismus, im Internationalismus und in der revolutionären Aktion nicht nur zum Schein, sondern in Wahrheit übereinstimmen muss.“

Aus: „Politische Briefe“ Nr. 14 vom 3. Februar 1916

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"Schwäche, verdeckt mit Pomp", UZ vom 21. Dezember 2018



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