Zur Impfkampagne der Bundesregierung

Selbstgemachte Impfskepsis

Momentan überkommt einen häufig die Sehnsucht nach Immunität. Natürlich gegen den Sars-CoV-2-Erreger, beim Lesen der Tagespresse aber auch gegen die Wut, die sich bei jeder Unverschämtheit der politischen Akteure rund um das Thema der – objektiv notwendigen – Impfkampagne einstellt. Als Markus Söder aktuell die Diskussion zum Impfzwang für bestimmte Berufsgruppen (wieder) eröffnet, ist das einzige Deckmäntelchen des Anstands, den Ethikrat zu bitten, Vorschläge zur Impfpflicht zu machen. Die Reaktionen aus weiten Teilen der Bundesregierung kommen prompt und sind meist ablehnend. Das Feld ist trotzdem eröffnet. Wer zwischen den Zeilen liest, erkennt schnell jene, die mit der Idee sympathisieren, aber einen eleganten Schlenker machen: Diese Debatte sei „jetzt“, wo noch nicht genug Impfstoff vorhanden ist, die völlig falsche. Das ist sachlich so richtig wie perfide, weil die Hintertür offengelassen wird, die Diskussion im Sommer zu führen.

Begründet wird die Notwendigkeit der Impfpflicht von den Hardlinern mit der Impfmüdigkeit der Bevölkerung im Allgemeinen und von Pflegekräften im Besonderen. Unabhängig von der geringen Belastbarkeit der Zahlen, die zu der Frage „Covid-Impfung“ bei Beschäftigten überhaupt vorhanden sind, wird Verwunderung bis Empörung geheuchelt, warum die Pflegekräfte dem Staat und der Wissenschaft nicht vertrauen und sich nicht um die Impfung reißen.

Dabei geht es um die Pflegekräfte – die anderen Berufsgruppen werden wieder einmal ignoriert –, die in den letzten 20 Jahren lernen mussten, dass jede ihrer Anforderungen ans Gesundheitssystem, und war sie auch noch so wissenschaftlich basiert, konsequent ignoriert wurde. Die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen, mehr Personal und damit ausreichend Zeit zum Beispiel für Hygienemaßnahmen wurden seit Einführung der Fallpauschalen ausgesessen, die Situation des Personals wurde von Jahr zu Jahr schlechter. Trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse und Simulationen zu Viruspandemien mit hoher Sterblichkeit und den Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem wird – zum Teil bis heute – von ihnen erwartet, ihre Gesundheit wegen zu wenig, falscher oder unzureichender Schutzausrüstung aufs Spiel zu setzen. Parallel durften sie erfahren, dass es zwar einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu ihrer Unterbezahlung gibt, aber sie dennoch kaum eine Corona-Prämie verdient haben, die diesen Namen verdient. Die unwürdige Verteilung der Prämie auf gerade mal ein Viertel der Krankenhäuser und dort auf einen viel zu kleinen Teil der Betroffenen war nur das Ausrufezeichen in einer langen Reihe konsequenter Entscheidungen gegen die Beschäftigten in den Krankenhäusern.

Und jetzt wundert sich dieser Staat, dass ihm nicht gefolgt wird? Was für ein Hohn. Völlig ignoriert werden die verständlichen Ängste der Beschäftigten, die in Zeiten von notwendigen, aber in sich unstimmigen Lockdown-Maßnahmen und um sich greifenden Verschwörungstheorien nicht geringer werden. Wer so gut ausgebildet ist wie deutsches Pflege- und Gesundheitspersonal weiß, was notwendig wäre, um Corona wirkungsvoll zu bekämpfen. Pflegekräfte brauchen sachliche Aufklärung und Transparenz über die vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Impfungen und die objektive Möglichkeit und Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Dann entsteht über eine Freiwilligkeit die Sicherheit, dass die individuelle Entscheidung auch akzeptiert wird. In so einem Setting wäre Impfmüdigkeit kein Problem. Dafür müsste der Staat aber aufhören, sich im Interesse der Aufrechterhaltung des Gesundheitsmarktes zur Aneignung von Profiten gegen die Beschäftigten zu stellen.

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"Selbstgemachte Impfskepsis", UZ vom 22. Januar 2021



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