„Spitzenpersonal“ gibt Parolen vor

Das Gespräch führte Markus Bernhardt

UZ: In den letzten Monaten kommt es in bundesdeutschen Städten und Kommunen wieder verstärkt zu Aufmärschen und Attacken gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte. Warum steigt der rassistisch motivierte Hass wieder einmal so an?

Oliver Ongaro: Das hat mehrere Ursachen. Dass es in den letzten Wochen vor allem in sächsischen Kleinstädten und Kommunen zu Aktivitäten von Rechten gegen Migrantinnen und Migranten kommt, verwundert mich wenig. Schließlich haben „Pegida“, NPD, aber auch weite Teile der CDU alles dafür getan, in der Bevölkerung vorhandene Vorurteile zu verstärken und den Hass auf Flüchtlinge zu befördern. So forderte etwa der Anfang Juni wiedergewählte Freitaler CDU-Oberbürgermeister Uwe Rumberg „Sanktionen gegen pöbelnde und gewalttätige Asylbewerber“ und schwadronierte, „auch eine Willkommenskultur hat irgendwo ihre Grenzen“. Auf Bundesebene pöbelte Horst Seehofer, sich bis „zur letzten Patrone dagegen zu wehren, dass es eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme gibt“. Da braucht man sich über die Reaktionen der Bevölkerung kaum zu wundern, wenn das sogenannte örtliche Spitzenpersonal derartige Parolen vorgibt.

 

Erinnerungen an die mörderische Anschlagserie

zu Beginn der 1990er Jahre werden wach.

UZ: Manche sorgen sich, dass sich die Pogrome der 1990er Jahre beispielsweise in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln u. a.  wiederholen könnten.

Oliver Ongaro: Ich kann das keineswegs ausschließen. Schon bei den letzten Aufmärschen der Rassisten in Freital war die Polizei ja erst sehr spät und auch nicht mit einer ausreichenden Anzahl an Beamten zugegen. Anders aber als Anfang der 1990er Jahre ist rassistische Stimmungsmache in Deutschland nicht hegemonial. Wir erleben zumindest in größeren Städten eine große Solidarität mit geflüchteten Menschen. In Düsseldorf z. B. hat sich ein eigenes Netzwerk „Flüchtlinge willkommen in Düsseldorf“ gegründet, eine Internetplattform, bei der neben rein praktischen Dingen, wie Kleidung, auch Kultur- und Sportangebote für und vor allem mit Flüchtlingen zusammen zu finden sind. Es entstehen dabei neue Aktionsformen, wie z. B. das Streichen der Flüchtlingsunterkunft gemeinsam mit den Bewohnern. Was dann auch gegen den Hausmeister und Sicherheitspersonal durchgesetzt wird. Daraus entsteht eine praktische breite gesellschaftliche Solidarität mit Flüchtlingen, die es so Anfang der 1990er Jahre nicht gegeben hat.

Anders sieht es in ländlichen Gebieten aus. Wo linke und migrantische Initiativen und Strukturen schwach sind und waren, herrscht seit 25 Jahren eine rassistische Grundstimmung bis tief in die Gesellschaft. Hier trumpft der neonazistische Mob immer wieder auf, durch Hetzjagden auf Migranten, Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte etc. Nach den Pegidaaufmärschen und deren Nachahmern in vielen Städten fühlen sich Neonazis geradezu ermuntert. Das Gefahrenpotential, das zeigen auch die Enthüllungen über das neofaschistische Terrornetzwerk „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), dürfen Antifaschisten auf keinen Fall unterschätzen. Da muss dringend mit aller Macht gegengesteuert werden.

Oliver Ongaro ist Sprecher des Bündnisses „Düsseldorf stellt sich quer“ und im Vorstand von STAY! Düsseldorfer Flüchtingsinitiative e. V. http://www.stay-duesseldorf.de

Oliver Ongaro ist Sprecher des Bündnisses „Düsseldorf stellt sich quer“ und im Vorstand von STAY! Düsseldorfer Flüchtingsinitiative e. V. http://www.stay-duesseldorf.de

UZ: Von wem und mit welchen Mitteln?

Oliver Ongaro: Erstmal sind natürlich die staatlichen Stellen, also Sicherheitsbehörden und auch die Politik in der Pflicht. Bei beiden muss sich jedoch selbst erst einmal Gravierendes ändern. So muss endlich Schluss damit gemacht werden, neofaschistische Strukturen und rechte Gewalt zu verharmlosen, wie wir es vom CDU-Landrat infolge des Brandanschlages in Meißen erlebt haben. Wir brauchen außerdem eine gesellschaftliche Debatte über Fluchtgründe und Ursachen. Menschen verlassen ihr Land ja nicht freiwillig, sondern weil sie vor Verfolgung, Armut und schlimmstenfalls Tod flüchten müssen. Die Bundesrepublik Deutschland und die EU sind in vielen Fällen selbst Verursacher der Krisen, Hungersnöte und Verfolgungen, vor denen die Menschen fliehen müssen. Gerade diese Debatte haben die vielen selbst organisierten Flüchtlingsproteste auf die politische Agenda gesetzt.

UZ: Wie ließe sich die Lebenssituation der Flüchtlinge konkret verbessern?

Oliver Ongaro: Verschiedene Flüchtlingsorganisationen fordern, genauso wie wir, einen Stopp der Unterbringung der Menschen in Sammellagern. Sie brauchen eigenen Wohnraum, in dem sie überhaupt über eine Privatsphäre verfügen können. Das Arbeitsverbot muss fallen und es muss eine vernünftige Gesundheitsversorgung der Betroffenen gewährleistet werden. Außerdem brauchen wir mehr Sprachkurse und weitere mannigfaltige Unterstützung, beispielsweise von Sozialarbeitern und Therapeuten. Die oftmals traumatisierten Flüchtlinge brauchen Hilfe, ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Es muss außerdem gewährleistet werden, dass sie am sozialen Leben teilhaben können wie jeder andere Bürger auch.

UZ: Lässt sich das mit den real herrschenden Zuständen in Einklang bringen?

Oliver Ongaro: Ich denke, dass nur gesellschaftliche Debatten und unser konsequentes Einmischen die Verhältnisse ändern werden. Wir haben mit STAY! Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative vor sieben Jahren angefangen, papierlose Flüchtlinge ganz offen zu beraten und medizinisch zu versorgen. Viele Leute haben uns gewarnt, die Polizei kommt, ihr werdet kriminalisiert usw. Heute ist Düsseldorf die erste Kommune in NRW, die einen Topf für die medizinische Versorgung von Papierlosen mit 100 000 Euro im Jahr mitfinanziert. Wir haben über Jahre hinweg mit allen, von der Antifa über die Gewerkschaften bis hin zu Kirchengemeinden, politisch zusammengearbeitet. Uns ist und war dabei wichtig, was die einzelnen Leute in dem konkreten Fall, in der politischen Auseinandersetzung wollen, ihr Standing, ihr Handeln. Dabei lagen Menschen aus Kirchengemeinden und unsere Genossen aus ehemals besetzten Häusern in ihren Handlungsansätzen manchmal ganz nah bei einander.

Ein anderes Beispiel: Im Düsseldorfer Stadtrat wurde vor wenigen Tagen über das Thema Nachtabschiebungen von Flüchtlingen diskutiert. Bei Nachtabschiebungen kommen Mitarbeiter der kommunalen Ausländerbehörde ohne Vorankündigung zur Nachtzeit in Unterkünfte und holen Einzelpersonen oder Familien zur sofortigen Ausreise ab. Diese werden zu einem Flughafen gebracht, von wo sie am Morgen Deutschland verlassen müssen. Wir haben stets insbesondere die traumatischen Folgen für Kinder, sowohl in den abgeschobenen Familien als auch bei anderen Flüchtlingen, die die Abschiebungen miterleben, kritisiert und dagegen mobil gemacht. Der Stadtrat hat sich nun mehrheitlich darauf geeinigt, dass unangekündigte Abschiebungen abgelehnt werden und die Verwaltung gegenüber übergeordneten Stellen unterstützt wird, um Nachtabschiebungen zu vermeiden. Das sind nur zwei Beispiele aus einer Stadt. Trotzdem: Widerstand ist möglich und lohnt sich.

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"„Spitzenpersonal“ gibt Parolen vor", UZ vom 3. Juli 2015



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