Störfaktoren

Es war 2.45 Uhr in der Nacht auf Dienstag, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor die Hauptstadtpresse trat, und einen „historischen Moment“ verkündete. Bund und Länder hätten sich geeinigt. „Unser gemeinsames Ziel ist es, die irreguläre Migration zurückzudrängen“, so der Kanzler.

Was Scholz dann in Begleitung der Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) und Stephan Weil (SPD) verkündete, war so neu nicht. Asylverfahren sollen abgekürzt, die Zahl von Geflüchteten verringert, Leistungen gestrichen und Bargeld nicht mehr ausgezahlt werden. Mit dauerhaften Grenzkontrollen soll gewährleistet werden, dass nur noch ins Land kommt, wer „berechtigt“, also leicht zu verwerten ist. Zudem wird eine Kommission zur „Steuerung der Migration“ eingerichtet. Das Sortieren und Aussortieren von Menschen ist für die Parteien des Bürgerblocks seit langem ein fester Bestandteil des alltäglichen Geschäftes. Nun wollen SPD, Grüne und CDU auch selbst die Lorbeeren dafür einheimsen.

Jahrelang hatten Bund und Länder die Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten im Regen stehen lassen. Die bewusste Unterfinanzierung führte zu miserablen Wohnverhältnissen, mangelnder Begleitung und überforderten Behördenmitarbeitern. Die willkürliche Errichtung von überdimensionierten und auf lange Zeit überbelegten Gemeinschaftsunterkünften schürte den Unmut in der benachbarten Bevölkerung. Die so geschaffenen Verhältnisse werden nun mit dem regierungsoffiziell geschürten Hass gegen Palästinenser, Araber und Menschen, die dafür gehalten werden, kombiniert, um einen Rechtsruck mit grün-liberalem Anstrich durchzusetzen.

Bessern wird sich dadurch nichts. Der Hessische Städtetag hat im vergangenen Jahr vorgerechnet, dass Kosten für die Unterbringung, Versorgung und Integrationsleistungen für einen geflohenen Ukrainer rund 3.500 Euro im Monat betragen. Für Geflüchtete aus anderen Ländern, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen, will der Bund zukünftig 7.500 Euro an die Länder bezahlen – im Jahr. Die weitere Verschärfung des Kurses ist im aktuellen Beschluss also schon eingepreist. Und sie wird nicht nur Asylbewerber treffen, sondern alle, die beim reaktionären Staatsumbau und dem Ausbau der Kriegswirtschaft als Störfaktoren gelten.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"Störfaktoren", UZ vom 10. November 2023



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