Die Bundesliga und ein Regionalliga-Skandal

Stürmische Zeiten

Von Karl Rehnagel

Ich flog mit dem Fahrrad zur Kneipe, fast im wörtlichen Sinne. Mit mir Äste, Mülltonnen, Ziegel, Nacktmulle und alles andere, was nicht vorher festgenagelt worden war. In unserem Rauchervorzelt knallte es im Minutentakt, wenn die Zeltwände voller Wut vor die davorgestellten Bierbänke antobten. Dazu goss es aus Eimern, ach was, aus Elefantenbadewannen. Brrr. Gartenbro A. hatte abgesagt, Basslehrerin S. ebenfalls, und die schöne M. hatte ihr Schweigegelübte anscheinend um drei Jahre verlängert, woher soll ich das wissen, wenn sie nicht spricht. U., der Mann ohne Zähne, sprach dafür doppelt so viel, allerdings verstehe ich ihn nicht. Alles in allem also: gar nicht mal so schick.

Passend das Spiel: Der BVB hatte viel, viel Mühe mit zähnefletschenden Schwaben, in der ersten Halbzeit ging einfach nichts. Der Mann ohne Zähne und ich tranken deshalb Bier um die Wette und rauchten Kette. Die schöne M. schwieg. Uff. In der zweiten Halbzeit dann dank Elfmeter und Reus das befreiende 1:0 und auch wenn die Stuttgarter ausglichen, ich hatte nicht das Gefühl, dass wir heute Punkte abgeben. Paco machte noch sein Tor und der christliche Christian auch, 3:1, Mund abputzen.

Und sonst? Die Bayern fertigten Wolfsburg mit 6:0 ab. Eine ordentliche Show der Bauern, aber auch eine abgrundtief peinliche Vorstellung der VW-Angestellten. Freiburg schlug die alte Dame Hertha (Respekt!) und Augsburg erkämpfte sich ein 0:0 gegen Leipzig. Hannover verlor zu Hause gegen Leverkusen, allerdings in einem Spiel, das man nie hätte anpfeifen dürfen. Es schneite ununterbrochen, Außen- oder Strafraumlinien lagen unter weißer Pracht und Spieler rutschten meterweit um die Wette.

Aufreger des Spieltages, ach was, der gesamten Saison wahrscheinlich: Vor einem Regionalligaspiel des Chemnitzer FC wurde eines führenden Neonazis gedacht, der Tage zuvor verstorben war. Mit Foto, Pyroshow, Choreo, Stadionsprecher und allem Drum und Dran. Chemnitz‘ SPD-Stadträtin Peggy Schellenberger sprach gar über den bekennenden Nazi: man sei immer „fair, straight, unpolitisch und herzlich miteinander umgegangen“. Unpolitisch und herzlich! Nicht zu fassen. Der Verstorbene Thomas Haller gründete unter anderem einst die Gruseltruppe „Hooligans-Nazis-Rassisten“ (HooNaRa) und war an den Ausschreitungen 2018 in Chemnitz maßgeblich beteiligt. Widerlich.

Ich begleitete die schöne M. nach dem BVB-Spiel noch ca 19,09 Meter nach Hause, dann verlor ich die Lust. Eisiges Schweigen, gepaart mit einer erneut heranrückenden gelbschwarzen Gewitterfront, können den besten Alleinunterhalter in die Knie zwingen. Oder, wie in diesem Fall, aufs Fahrrad. Und zu allem Überfluss bemerkte ich bei einer kleinen Nebenher-Kopfrechnung, dass die Bayern jetzt wohl auf Platz 1 der Tabelle standen, besseres Torverhältnis und so. Mist. So verabschiede ich mich wacker mit meinem Freund und Englischexperten Lothar Matthäus: „I lose all my eventing.“

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"Stürmische Zeiten", UZ vom 15. März 2019



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