Das Beispiel Glasfaserausbau verweist auf strukturelle Probleme der Baubranche

Sub-Sub-Kultur ist weit verbreitet

Arm trotz Arbeit. Hieran hat man sich zwanzig Jahre nach der Etablierung eines gigantischen Niedriglohnsektors im Rahmen der Agenda-Politik schon fast gewöhnt. Doch es geht noch schlimmer. „Hungern trotz Arbeit“, so war ein Beitrag von „Report Mainz“ überschrieben, der kürzlich im ZDF ausgestrahlt wurde. Das Polit-Magazin skandalisiert jedoch nicht – wie man zuerst vermuten könnte – die Arbeitsbedingungen an den verlängerten Werkbänken westlicher Konzerne im globalen Süden. Stattdessen berichten die Redakteure von einem Vorfall in Rheinland-Pfalz.

In der beschaulichen Gemeinde Rittersheim erhielten osteuropäische Bauarbeiter beim Ausbau des Glasfasernetzes drei Monate lang keinen Lohn und mussten in der Folge buchstäblich hungern. Erst nachdem der lokale Bürgermeister intervenierte und Zoll und Gewerkschaft einschaltete, wurde den Arbeitern zumindest ein Teil ihres ausstehenden Lohnes ausgezahlt.

Hierbei handelt es sich nicht um einen bedauerlichen Einzelfall. „Report Mainz“ hat Dutzende weiterer Vorfälle beim Glasfaserausbau dokumentiert, die sich seit Anfang 2022 in verschiedenen Regionen Deutschlands ereignet haben. Die Palette reicht von Schwarzarbeit, illegaler Beschäftigung und Lohnprellerei über 16-Stunden-Arbeitstage bis hin zu organisierter Kriminalität und Menschenhandel.

In einem Fall wurde ein Mann aus Ungarn, der in Nordrhein-Westfalen arbeitete, von seinem Subunternehmer geschlagen. Als er nach dem fehlenden Lohn fragte, wurde er vor die Tür gesetzt. In einem anderen Fall haben Zollbeamte drei Unternehmer aus dem Raum Marburg festgenommen, die im Auftrag der Glasfaser Plus – einem Joint Venture von Deutscher Telekom und dem IFM Global Infrastructure Fund – aktiv gewesen sind. Sie sollen in großem Stil Steuern und Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen haben.

Die IG BAU spricht inzwischen von flächendeckenden strukturellen Problemen in der Glasfaserbranche und fordern ein Ende der Arbeitsausbeutung. Eine zentrale Ursache für die himmelschreienden Verhältnisse ist nach Angaben der Gewerkschaft das hohe Maß an Scheinselbstständigkeit auf den Baustellen. Hinzu kommt die Intransparenz des weit verbreiteten Sub-Subunternehmer-Systems, das dazu führt, dass weder der Zoll intervenieren noch die betroffenen Arbeiter ihre Rechte durchzusetzen können.

Neben der fehlenden Transparenz verweist das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen darauf, dass viele Bauarbeiter – meist aus Osteuropa – sich in starken Abhängigkeitsverhältnissen befinden. In der Folge gehen die Betroffenen nur selten gegen Arbeitsausbeutung vor. Noch schlimmer ist die Situation für Personen aus Drittstaaten wie Nordafrika oder Nahost, die hier nur ein Aufenthaltsrecht besitzen. Da das Aufenthaltsrecht an die Beschäftigung gekoppelt ist, müssten sie zeitnah ausreisen, wenn sie ihren Job verlieren.

Unterdessen freut sich der Bundesverband Breitbandkommunikation (BREKO) über volle Auftragsbücher und die Bundesregierung lässt sich für den schnellen Ausbau der Infrastruktur loben. BREKO hatte Mitte 2022 seine „Gigabitstrategie“ vorgestellt, nach der bis 2025 die Hälfte aller Haushalte in Deutschland über einen schnellen Glasfaseranschluss verfügen sollen.

Damit der schnelle Ausbau nicht weiter auf dem Rücken der Bauarbeiter stattfindet, sind strengere Regeln dringend geboten. Ein erster Schritt wäre, nur solche Generalunternehmen und solche Subunternehmen zu beauftragen, die nachweisen können, dass sie bei der SOKA-BAU, also der Sozialkasse der Bauwirtschaft, angemeldet sind. Darüber hinaus sollten die Telekom-Anbieter regelmäßig alle Unternehmen in der Kette kontrollieren müssen, um zu überprüfen, ob diese sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. Auch sollten die milliardenschweren Zuschüsse von Bund, Ländern und Kommunen für den Glasfaserausbau an Sozialstandards gekoppelt sein. Aus Sicht der FDP-geführten Ministerien und anderer Wirtschaftsliberaler sind solche Regeln jedoch unnötige „Bürokratie“, die im Interesse des Standorts abgebaut werden muss.

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"Sub-Sub-Kultur ist weit verbreitet", UZ vom 15. März 2024



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