Die Kriegsführung der faschistischen Wehrmacht gegen die Sowjetunion

Terror, Raub und Massenvernichtung

Der Krieg, den Hitlers Wehrmacht 1941 gegen die Sowjetunion eröffnete, kostete diese 27 Millionen Menschenleben, davon 14 Millionen Zivilisten. Nicht alle der ums Leben gekommenen Rotarmisten fielen im Kampf – rund drei Millionen gingen in deutscher Kriegsgefangenschaft zugrunde. Die Bedingungen in den Gefangenenlagern waren so gestaltet, dass sie zu einem derart massenhaften Sterben zwingend führen mussten.

Es ist also keineswegs so, dass man die Kriegstoten der Sowjetunion einfach nur als Opfer einer militärischen Konfrontation sehen könnte. Denn die Zielsetzung Nazideutschlands erschöpfte sich eben nicht darin, den Gegner militärisch niederzuwerfen, um ihm sodann Friedensbedingungen diktieren zu können. Zugrunde lag dieser vielmehr ein Konzept zur „germanischen“ Neubesiedelung der Sowjetunion – vorläufig bis zum Ural –, basierend auf der massenhaften Vernichtung und Vertreibung der einheimischen Bevölkerung.

Ab 1940 wurde in diesem Zusammenhang unter maßgeblicher Beteiligung von Reichsführer SS Heinrich Himmler der sogenannte „Generalplan Ost“ erarbeitet. Mit beträchtlichem Aufwand wurden darin Vorstellungen entwickelt und präzisiert, wie die sowjetischen Gebiete im europäischen Teil des Landes mit Deutschen und Siedlern „artverwandten Blutes“ bevölkert werden konnten. Für die Ursprungsbevölkerung wurden Vernichtungsquoten vorgegeben. So sollten – zunächst – bis zu 60 Prozent der Russinnen und Russen ausgerottet werden. Für weitere Bevölkerungsanteile war die Verschleppung in die asiatischen Gebiete der Sowjetunion oder Zwangsarbeit vorgesehen. Begründet wurde dies mit der faschistischen Doktrin von der Minderwertigkeit der „slawischen Rassen“. Es wäre jedoch ein großer Fehler, wollte man hier nur Irrationalität und ideologische Absurditäten am Werk sehen, denn verbunden war dieses Programm mit gewaltigen ökonomischen Raub- und Bereicherungsabsichten. Der verstorbene Historiker Dietrich Eichholtz stellte hierzu fest: „Diejenigen Kreise der herrschenden politischen, militärischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten, die den Krieg um die Eroberung des Ostraumes wollten und führten, integrierten die rassistische Ideologie als nützlich in ihre Politik, in die Kriegsführung und ihr Weltbild.“ Wenn man also davon spricht, dass es sich bei der faschistischen Rassenlehre vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet um Unsinn gehandelt habe, so ist ebenfalls zu konstatieren, dass dieser Unsinn den imperialistischen Interessen des deutschen Kapitals nützliche Dienste leistete.

In engem Zusammenhang damit stand der sogenannte „Hungerplan“, der unter Federführung des 1942 zum SS-Obergruppenführer avancierten Staatssekretärs im Reichsministerium für Landwirtschaft, Herbert Backe, entstand. Hierbei ging es darum, beträchtliche Quoten landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus den besetzten sowjetischen Gebieten herauszupressen, um so die Versorgung der deutschen Bevölkerung und der eigenen Kriegsmaschinerie zu gewährleisten. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels sprach davon, dass man sich „im Osten gesundstoßen“ wolle. Über die Konsequenzen war man sich durchaus im Klaren – Reichsmarschall Hermann Göring äußerte im November 1941 in einem Gespräch mit dem italienischen Außenminister: „In diesem Jahr werden in Russland zwischen 20 und 30 Millionen Menschen verhungern. Und vielleicht ist das gut so, denn gewisse Völker müssen dezimiert werden.“

Charakteristisch für die deutsche Kriegsführung im Osten waren auch die 1941 erteilten „Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare“, auch bekannt unter dem Begriff „Kommissarbefehl“. Hiermit wurde die umgehende Erschießung gefangengenommener Politkommissare der Roten Armee angeordnet – ein krasser Bruch internationaler Abkommen zum Schutz von Kriegsgefangenen. In der Wehrmacht gab es dennoch wenig bis gar keinen Widerspruch, versprach man sich doch eine beträchtliche Wirkung davon, die – wie es im Wortlaut hieß – „eigentlichen Träger des Widerstandes“ in der gegnerischen Armee auszuschalten. Schätzungen gehen von rund 10.000 Menschen aus, die diesem verbrecherischen Befehl zum Opfer fielen.

Von deutscher Seite wurde wiederholt hervorgehoben, dass es sich beim Krieg gegen die Sowjetunion nicht um einen militärischen Konflikt herkömmlicher Art handele. Generaloberst Franz Halder, bis September 1942 Chef des Generalstabes des Heeres, notierte nach einer Besprechung mit Adolf Hitler im März 1941, dieser habe klargestellt: „Wir müssen vom Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf.“ Es gab also gewisse Sorge, traditionelle militärische Ehrbegriffe könnten sich hemmend auf den Willen zur Ausrottung auswirken. Allerdings zeigte sich bald, dass die Befürchtungen übermäßiger moralischer Skrupel unbegründet waren – letztlich hielt sich der Widerstand in den Reihen der Wehrmacht in engen Grenzen.

Es ist also festzustellen, dass die 27 Millionen Kriegstoten der Sowjetunion für das umfangreichste Verbrechen des Hitlerfaschismus stehen. Zu den Gefallenen der Roten Armee kommen die Ermordeten in den deutschen Gefangenenlagern und vor allem die zivilen Opfer einer planmäßigen Massenvernichtung menschlichen Lebens. Die eliminatorische Ausrichtung ist hier unübersehbar. In der Erinnerungskultur der Bundesrepublik hat dieses Massenverbrechen jedoch von Anfang an ein Schattendasein gefristet – bis auf den heutigen Tag. Oft ist zu hören, dass das Verbrechen des Holocaust ein besonders verantwortungsvolles Verhältnis Deutschlands zu Israel begründe. Wer sich den historischen Fakten vorbehaltlos stellt, wird zum Ergebnis kommen, dass ein solches auch gegenüber den Völkern der ehemaligen Sowjetunion am Platze wäre – aber dem steht die ebenso traditionsreiche wie unheilvolle Mischung aus Antikommunismus und Russenhass entgegen.

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"Terror, Raub und Massenvernichtung", UZ vom 18. November 2022



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