Russland sagt nein zu türkischen Plänen in Nordsyrien

Tiefe Kluft

Trotz aller Warnungen aus Russland will die Türkei weiterhin die Kontrolle über Idlib behalten. Nach wie vor verlangt Erdogan den Rückzug der syrischen Armee, werden militärische Verstärkungen nach Idlib geschickt – mehr als 2.500 Fahrzeuge und 7.000 Soldaten in den letzten drei Wochen. In einem Telefongespräch mit dem russischen Präsidenten Putin forderte Erdogan, die „Aktionen des syrischen Regimes müssten gestoppt“ werden. Putin dagegen verlangt eine bedingungslose Anerkennung der syrischen Souveränität und ein Ende des Terrorismus.

Der Sprecher für die Anti-IS-Koalition, US-Oberst Myles Caggins, nannte im Interview mit „SkyNews“ die Provinz Idlib einen Anziehungspunkt für terroristische Gruppen, die eine Beeinträchtigung und Bedrohung des Lebens von Hunderttausenden unschuldigen Zivilisten darstellen.

Die Türkei duldet diese Gruppen und arbeitet mit ihnen zusammen, zuletzt in einem Angriff auf den Ort al-Nayrab, westlich von Sarakeb, wo sich die Autobahnen aus Damaskus und Tartus treffen. Aus mehreren Richtungen griffen Dschihadisten die Stellungen der syrischen Armee an – ausgerüstet von der türkischen Armee und mit Artillerieunterstützung durch türkische Einheiten. Erst mit Hilfe russischer Luftangriffe konnten die Dschihadisten abgewehrt werden, mehrere gepanzerte Fahrzeuge wurden dabei zerstört. Zwei türkische Soldaten starben bei dem Luftangriff – für Erdogan eigentlich eine rote Linie.

Wenn die türkische Regierung mit dem Angriff testen wollte, wie weit Russland in der Unterstützung für die syrische Armee gehen würde, erhielt sie eine klare Antwort. Einen Erfolg der Dschihadisten würde die russische Regierung nicht zulassen, auch wenn türkische Truppen in einem Angriff aktiv wären. Das bewiesen auch erneute russische Luftangriffe.

Der türkische Truppenaufmarsch in Idlib mit kilometerlangen Konvois geht dennoch weiter. Und auch der türkische Flirt mit einer Wende hin zu den USA geht weiter. Verteidigungsminister Hulusi Akar sprach davon, die USA würden möglicherweise Patriot-Raketenabwehrsysteme senden, die gegen Angriffe in Idlib eingesetzt werden könnten, allerdings ohne eine Bestätigung der USA erst abzuwarten. Es gehe dabei nicht um einen Wechsel der Verbündeten, meinte Akar. Es gehe lediglich um Verhandlungen über die türkischen Interessen. Und schließlich sei und bleibe die Türkei Mitglied der NATO.

Immer größere Teile Nordsyriens gerieten in den letzten Jahren unter Kontrolle der Türkei, zuletzt die sogenannte Sicherheitszone gegen die kurdische YPG. Die Erfolge der syrischen Armee in Idlib zwingen die Türkei zum ersten Mal seit Jahren zu einem Rückzug. Zwar sind die türkischen Truppen nach wie vor in den sogenannten Beobachtungsposten stationiert – aber immer mehr davon sind von syrischen Truppen umgeben. Und die syrische Offensive geht weiter. Daher die wütenden Reaktionen aus Ankara.

Die unterschiedlichen Positionen der türkischen und der russischen Regierung zu Idlib waren auch im Telefongespräch von Erdogan und Putin nicht zu überbrücken. Der türkische Verteidigungsminister betonte, die Türkei wolle eine Konfrontation mit Russland vermeiden. Weitere Konsultationen zwischen den beiden Ländern sollen folgen. Und für den 5. März verspricht sich Erdogan bei einem geplanten Treffen Unterstützung von Merkel und Macron gegenüber Putin.

Erdogan kündigt entschlossenere Schritte an, um das „syrische Regime zu stoppen“. Russland dagegen unterstützt die syrische Souveränität auch in Idlib – hier eine Lösung zu finden, erscheint schwieriger als die Quadratur des Kreises.

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"Tiefe Kluft", UZ vom 28. Februar 2020



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