Ein Nachruf auf Andreas Spector

Übelsätzerei und Shakes-Bier

Wenn man freitags die UZ aufschlägt, sind es meist nicht sehr gute Nachrichten, die einem entgegengeworfen werden. Der Zustand der Welt ist nicht danach; und es ist ja auch die Aufgabe einer kommunistischen Wochenzeitung, die Dinge zu benennen, wie sie sind. Da bleibt wenig Raum für Erfreuliches. Menschen sterben oder werden in ein vermeidbares Elend getrieben; das geschieht in der Regel aufgrund des Profitprinzip des Kapitalismus, den wir bekämpfen. Meist ist es eine Empathie für Menschen, die uns unbekannt sind, mit denen wir dennoch mitfühlen, als wären wir selbst betroffen. So in etwa hat auch Che Guevara unsere Aufgabe als Revolutionäre beschrieben.

Die vergangene Ausgabe aber brachte eine Anzeige, die persönlich bis ins Mark getroffen hat. Andreas Spector lebt nicht mehr.

Andreas, unser Genosse aus Augsburg, als Hamburger geboren, war „Jerôme“. Und er war als fleißiger und unermüdlicher Zuarbeiter der Internationalen Kommission in allen Dingen, die mit notwendigen Übersetzungen zu tun hatten, einer von denen, die auf dem Weg waren, zu den Unersetzlichen zu gehören. Die es jedoch nicht gibt (Brecht möge es verzeihen), denn wir kämen nicht weiter, wenn das stimmte – aber es gibt solche, die schwer zu ersetzen sind.

Auf einer seiner Homepages,
satzschneider.de, vermerkt er:

Alltagssätze, Sonntagsgedanken,
Kurze Schätze, spitze Flanken,
Texte mit bequemen Phrasen,
Warme Worte mit guten Maßen,
Alle diese Wundersachen
Kann Satzschneider Spector machen.
Gott sei Dank! Nun ist’s vorbei
Mit der Übelsätzerei!

Er hat hier einen antiken Text eines Poeten aus der Hauptstadt seiner zweiten Heimat Bulgarien zu seinen beruflichen Zwecken angepasst. Und eben auch das war Andreas: Jemand, der die Sprache liebte, sie anwandte, sie in ihrem Fluss und ihrer Veränderlichkeit verstand und sie anderen zugänglich machte. Daher war seine Dolmetscharbeit, auf die wir in der Internationalen Kommission der DKP bei den „4-Parteien-Konferenzen“, bei Parteitagen wie auch für unsere schriftliche Korrespondenz zurückgreifen konnten, mehr Übertragung als Übersetzung: So, wie wenn Dinge auf einem Boot über einen Fluss gebracht werden und durch das Schaukeln in anderer Ordnung drüben ankommen – jedoch vollständig.

Jerôme war der Andreas, den er in seinem 2019 erschienenen Buch „Mit der Stasi ins Bett“ beschreibt. Ab 1988 ein Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit in Westberlin mit kurzer Karriere, wie es im Untertitel heißt. Wie ihm geheißen, bandelte er in der FDP an, für die er 1994 in Berlin Bundestagskandidat wurde: „Kreuzberger, Kaufmann, Schwul, Liberaler“. Er flog auf, nachdem er seinen Auftrag für den Frieden noch über Jahre – vage ob der weggefallenen Auftraggeber, aber zielgerichtet – fortgesetzt hatte.

Der erzwungene Abschied von der damals engsten Kapitalpartei brachte Andreas dann aber dahin, wo er hingehörte: In die DKP. Von Berlin ging er nach Augsburg, wo er mithalf, die Partei aufzubauen. Andreas war darüber hinaus aktiv bei „DKP queer“.

Gerade arbeitete er an einem – wie er kürzlich schrieb – 600seitigen Werk mit skurrilen Lebensgeschichten, als er mit kaum 59 Jahren aus dem Leben gerissen wurde. Es sollte voller Humor sein, wie seine Mails. Die letzte macht deutlich, warum er uns in den oben beschriebenen finsteren Zeiten fehlen wird.

Kultur muss auch sein: Ich wollte schon lange mal wieder die berühmten Achilles-Verse lesen. Dazu schmeckt am besten ein gutes Glas dunkles Shakes-Bier …

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"Übelsätzerei und Shakes-Bier", UZ vom 13. Oktober 2023



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