Reaktionen aus dem arabischen Raum auf den Krieg gegen Gaza

Überwältigende Solidarität

Die beispiellosen israelischen Angriffe auf Gaza haben zu einer ebenfalls beispiellosen Reaktion in der Region geführt. Demonstrationen gegen die Blockade Gazas gab es von Marokko bis zum Jemen und von der Türkei bis zum Iran. Irakische Demonstranten, die bis zum besetzten Westjordanland vordringen wollten, blockierten einen Grenzübergang zwischen Irak und Jordanien.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan inszeniert sich als Unterstützer der Sache Palästinas – wie schon 2010 nach dem israelischen Überfall auf den Hilfskonvoi für Gaza mit dem Schiff „Mavi Marmara“. Vor hunderttausenden Anhängern sprach er von den Kriegsverbrechen Israels und bezeichnete Netanjahu als Terroristen. In Erdogans Wechselspiel zwischen West und Ost schlägt das Pendel weit nach Osten aus.

Die Proteste erschüttern die Stabilität mancher Länder in der Region. Nicht dort, wo die Unterstützung Palästinas Staatsräson ist, wie im Iran oder im Jemen. Aber zum Beispiel in Jordanien, das tief in das westliche Sicherheitssystem integriert ist. Die engen, auch familiären Bindungen vieler Jordanier an Palästina führten zu riesigen Demonstrationen in Amman nach Beginn des israelischen Bodenangriffs. Und die jordanische Königin Rania empörte westliche Medien. Sie sprach von der Doppelmoral des Westens, der die Toten in Israel betrauere, für die Toten in Gaza aber nur Schweigen habe.

In Marokko, das die „Abraham Accords“ – also die Normalisierung der gegenseitigen Beziehungen – unterzeichnet hat, kam es am 15. Oktober zur größten Demonstration seit dem Irakkrieg. Die Veranstalter sprachen von hunderttausenden Teilnehmern, die Parolen riefen wie: „Stoppt den Völkermord“ und „Wir opfern unser Blut für dich, Palästina“.

Besonders aktiv in der Unterstützung von Gaza ist Tunesien mit vielen Demonstrationen. Hier ist ein Gesetz geplant, das die Aktivitäten von sogenannten NGO einschränken soll. Viele der NGO („Nichtregierungsorganisationen“) werden von ausländischen Regierungen, vor allem den USA, finanziert – und positionieren sich dementsprechend. Die einflussreiche NGO „I Watch“ will nun keine Zahlungen aus den USA mehr annehmen. Das tunesische Parlament plant, die Normalisierung der Beziehungen zu Israel unter Strafe zu stellen.

Die Vereinigten Arabischen Emirate haben nach dem Abschluss der „Abraham Accords“ auch ein Freihandelsabkommen unterzeichnet, das bis zu 95 Prozent der jeweiligen Handelswaren umfasst. 600 bis 700 Millionen US-Dollar pro Jahr beträgt das Handelsvolumen. Diese besten Beziehungen zu Israel hinderten die Emirate in der gegenwärtigen Situation und angesichts der Proteste nicht daran, im UN-Sicherheitsrat für einen russischen und gegen einen Resolutionsentwurf der USA zu stimmen.

Neben Razzien, Bomben und Kämpfen gab es Proteste auch auf der Westbank. Überwiegend ruhig ist dagegen die Situation in den Gebieten mit palästinensischer Bevölkerung in Israel selbst. Allerdings kommt es zum Teil zu drakonischen Disziplinarstrafen gegen Studenten, die sich kritisch äußern und ihre Solidarität mit den Menschen in Gaza ausdrücken. In Demonstrationen und Mahnwachen in Israel wurde der Rücktritt Netanjahus und ein sofortiger Gefangenenaustausch gefordert.

Die Resolution der UN-Generalversammlung, die die Gruppe der arabischen Staaten einbrachte und die ohne Schuldige zu benennen zum sofortigen Waffenstillstand und zur Aufhebung der Blockade um Gaza aufrief, wurde von den EU-Staaten nicht unterstützt. Die UN-Botschafterin der USA nannte die Resolution „empörend“, Israels UN-Botschafter erklärte, die UN hätten damit jede Legitimität verloren.

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"Überwältigende Solidarität", UZ vom 3. November 2023



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