Trotz internationaler Proteste hält Netanjahus Kriegskabinett an Zerstörungsplänen für Rafah fest

Kein Verständnis für Israel

Helle Aufregung um die Berlinale: Internationale Filmschaffende und Mitglieder der Jury wagen es, bei der Preisverleihung am vergangenen Samstag ihre Solidarität mit Palästina zu bekunden, den Völkermord zu verurteilen und einen sofortigen Waffenstillstand zu fordern. Entsprechend groß ist die Empörung in Medien und Politik, von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner („untragbare Relativierung“) über Kulturstaatsministerin Claudia Roth („tiefgehender Israelhass“) bis zu Bundeskanzler Olaf Scholz („einseitige Positionierung“) durfte jeder sich einmal darüber auslassen, wie unverschämt es ist, dass internationale Künstler sich nicht an die deutsche Staatsräson halten, gar die deutschen Waffenlieferungen für den Völkermord in Gaza kritisieren. Man ist sich einig in der deutschen Politikszene.

Und dann tanzt am Montag ausgerechnet der Bundeskanzler aus der Reihe. In der dpa-Chefredaktionskonferenz erteilte Scholz nicht nur der Taurus-Lieferung an die Ukraine eine klare Absage, sondern beendete das uneingeschränkte Gutheißen des israelischen Militäreinsatzes gegen Gaza. Die Militäroffensive auf das ganz im Süden Gazas gelegene Rafah lehnt Scholz ab – und meint: „Die Vorschläge, die wir jetzt aus Israel kennengelernt haben, überzeugen nicht. Es wird kein Weg vorbeiführen an einer Eigenstaatlichkeit eines palästinensischen Staates, der Westbank und Gaza umfasst.“

Damit droht Israel einer seiner letzten Verbündeten abhanden zu kommen. Abhalten lässt sich die Kriegsregierung Netanjahu aber nicht. Trotz massiver weltweiter Kritik hält sie an ihrer geplanten Offensive in Rafah fest. Ohne Angaben konkreter Einzelheiten wurde mitgeteilt, das Kriegskabinett habe einen Evakuierungsplan und Kampfzonen beschlossen – bisher bestanden solche Pläne aus Anweisungen an die Bevölkerung, über festgelegte Routen zu fliehen. Oft genug sind sie dann genau dort von der israelischen Armee bombardiert worden. In Rafah sind momentan über 1,3 Millionen Palästinenser zusammengepfercht, Ägypten fürchtet für den Fall der Offensive die Erstürmung der Grenzzäune. Mit einer Flucht der Palästinenserinnen und Palästinenser aus Gaza nach Ägypten wäre Netanjahu dem zionistischen Traum eines „Groß-Israel“ ein bedeutendes Stück näher.

Die Angriffe auf die übrigen Teile Gazas sind indes weiter verstärkt worden. Israel meldet die Tötung mehrerer „Terroristen“, unter anderem in Gaza-Stadt. Die palästinensische Gesundheitsbehörde gab zu Beginn dieser Woche die Zahl der getöteten Palästinenser mit 29.782 an, mehr als 70.000 Menschen wurden verletzt.

Netanjahu spricht inzwischen von einem „totalen Sieg“ in unmittelbarer Reichweite, doch das ist selbst in seinem Kriegskabinett umstritten. Zeitgleich zu diesen Ankündigungen verhandeln in Katar unter der Vermittlung des Gastgebers, Ägyptens und der USA Delegationen der Hamas und Israels über einen Geiselaustausch und eine Waffenruhe. US-Präsident Joseph Biden ließ wissen, er hoffe darauf, dass am kommenden Montag eine Waffenruhe in Kraft tritt. Andere Quellen nennen den Beginn des Ramadan am 10. März als Startpunkt für eine mögliche Waffenruhe.

Derweil gehen die weltweiten Proteste gegen den Krieg gegen Gaza weiter. Allein in London gingen am vergangen Samstag wieder hunderttausend Menschen auf die Straße. Der brasilianische Präsident Inácio Lula da Silva hielt trotz empörter Beschimpfungen durch Israel an seiner Aussage fest: „Was die Regierung des Staates Israel tut, ist kein Krieg, es ist Genozid“, bekräftigte er am Samstag in Rio de Janeiro.

Und selbst der Sicherheitsberater der US-Regierung, Jacob Sullivan, betonte, dass eine Offensive in Rafah nicht beginnen dürfe, bevor es einen Plan zum Schutz der Zivilisten und zu ihrer Versorgung gebe. „Einen solchen Plan haben wir noch nicht gesehen.“

Die Luft wird dünner für Israel.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Kein Verständnis für Israel", UZ vom 1. März 2024



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