Sächsisches Polizeigesetz: Prognose ersetzt Fakten

Umkehr der Beweislast

Von Markus Bernhardt

In der Mehrzahl der Bundesländer, die in den letzten Monaten und Wochen ihre Polizeigesetze verschärft haben, regt sich mittlerweile auch juristischer Widerstand. So auch in Sachsen, wo Abgeordnete der Partei „Die Linke“ und von „Bündnis 90/Die Grünen“ in der letzten Woche eine sogenannte Normenkontrollklage an den Sächsischen Verfassungsgerichtshof richteten.

„Im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle greifen wir zahlreiche Vorschriften des neuen sächsischen Polizeirechts an, das am 1. Januar 2020 in Kraft treten soll. Die Verschärfungen folgen bundesweiten Trends, der Gesetzgeber ist teils weit über den durch Bundes- und EU-Recht vorgegebenen Anpassungsbedarf hinausgegangen. Zwei Tendenzen sind deutlich: Erstens werden polizeiliche Befugnisse ausgeweitet und neue Instrumente etabliert. Zweitens werden herkömmliche und neue Befugnisse in ihrer Tiefe ausgeweitet und in hochgradig ambivalenten Sachlagen ermöglicht“, begründete der Prozessbevollmächtigte Prof. Dr. Matthias Bäcker, Professor für Öffentliches Recht und Informationsrecht an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, die Klage. Dreh- und Angelpunkt aller Polizeigesetze ist die faktische Umkehr der Beweislast und die damit einhergehende Abschaffung der Unschuldsvermutung. So fußen alle Gesetze auf der Einführung des Begriffs einer „drohenden Gefahr“, der sich sinngemäß an den von den Behörden bei dschihadistischen Terroristen verwendeten Begriff des „Gefährders“ anlehnt.

Die reale Folge dieser Phantastereien sind polizeistaatliche Horrorkataloge, die nunmehr in der übergroßen Mehrheit der Bundesländer bereits Alltag sind. So beinhalten die meisten Polizeigesetze der Länder nach ihren repressiven Verschärfungen den Ausbau der Videoüberwachung im öffentlichen Raum, die Ausweitung der Schleierfahndung, eine Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams, das Aussprechen von Kontaktverboten und Aufenthaltsvorgaben, einen verstärkten Einsatz der elektronischen Fußfessel sowie die weitere Militarisierung der Polizeiarbeit.

Tatsächlich hat es auch das von der Landesregierung aus CDU und SPD geänderte Polizeirecht des Freistaates in sich. Die Hürden für die Überwachung von Einzelpersonen, was nicht nur die Telekommunikationsüberwachung, sondern auch die Observation oder den V-Leute-Einsatz betrifft, wurden deutlich gesenkt. Hinzu kommt: Das neue sächsische Polizeirecht definiert „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ bis hinein in den Bagatellbereich, bei staatsschutzrelevanter Motivation sind sogar Beleidigungen oder Sachbeschädigungen erfasst. „Eine exzessive Ausweitung erfolgt auch im Bereich der schon heute strafbaren Vorbereitungshandlungen. So könnte eine Überwachung künftig schon damit gerechtfertigt werden, dass eine Person möglicherweise Heizöl kaufen könnte, um damit einen Anschlag vorzubereiten“, warnen die Gegnerinnen und Gegner der repressiven Gesetzgebungen.

Das neue sächsische Polizeirecht ermöglicht zugleich Zwangsmaßnahmen, die fortan nicht mehr nur zeitlich begrenzt und anlassbezogen, sondern pauschal und dauerhaft durchgeführt werden können. Auch hier reicht die vage Prognose der Beamten aus, die behaupten, dass irgendwann irgendjemand eine Straftat begehen könnte, damit die Polizei anordnen kann, dass eine Wohnung oder ein Viertel nicht mehr verlassen werden darf, der Kontakt zu Vertrauenspersonen abgebrochen werden muss oder Personen per Fußfessel überwacht werden können.

Es ist dringend erforderlich, sich auf allen möglichen Ebenen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch vor Gerichten, gegen die polizeistaatliche Entwicklung zu stellen. Erinnert sei zudem daran, dass aktuell das von „Bündnis 90/Die Grünen“ und CDU regierte Baden-Württemberg sowie das „rot-grün“ regierte Hamburg die Verschärfung ihrer Polizeigesetze planen. Grundrechte scheinen in den bundesdeutschen Landesregierungen, egal in welchen Koalitionen, mittlerweile als obsolet zu gelten.

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"Umkehr der Beweislast", UZ vom 23. August 2019



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