Chemikalien landen über das Recycling in Pizzakartons und Hygieneartikeln

Verbote von hormonellen Schadstoffen ist überfällig

Von Bernd Müller

Wir kommen jeden Tag mit Thermopapieren in Kontakt, sei es in Form von Kassenbons, Fahrkarten, Tickets oder Kofferetiketten. Was wir bisher ohne groß zu überlegen in die Hand nehmen, entpuppt sich nach einer neuen Untersuchung des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) als schädlich für unsere Gesundheit. Denn viele der Thermopapiere enthalten den hormonellen Schadstoff Bisphenol A (BPA) oder die chemisch verwandte Chemikalie Bisphenol S (BPS).

In 15 von 19 Stichproben, die der BUND testen ließ, wurden diese Substanzen nachgewiesen, vor deren Gefahren Experten schon seit Jahren warnen. Getestet wurden demnach Kassenbons von Tankstellen, großen Drogerie- bzw. Handelsunternehmen, Kinoeintrittskarten und Kofferetiketten von Lufthansa und Air Berlin. Die höchsten BPA-Werte wurden demnach bei Kassenbons von Shell- und Aral-Tankstellen, der Drogeriekette Rossmann und bei Eintrittskarten der Kinogruppe Cinestar gemessen.

Anlässlich der weltgrößten Messe für die Druck- und Druckmedienindustrie (Drupa), die am 31. Mai in Düsseldorf eröffnete, forderte der BUND deshalb die Thermopapier-Hersteller wie die deutsche Koehler Group, Kanzan oder Mitsubishi auf, Bisphenole auf Eigeninitiative durch längst verfügbare sicherere Alternativen zu ersetzen.

Dass die Hersteller in Eigeninitiative handeln sollen, liegt vor allem daran, dass es die EU-Kommission bisher nicht sonderlich eilig hatte, zu reagieren. Zwar hatte der Ausschuss für Risikobewertung (RAC) der Europäischen Chemikalienbehörde ECHA im Juni 2015 ein Verbot von BPA in Thermopapieren empfohlen. Als Grund wurden die enormen gesundheitlichen Risiken genannt, die insbesondere schwangere Kassiererinnen und alle anderen treffen können, die täglich mit Kassenbons hantieren und BPA über ihre Haut aufnehmen. Nun will der Regelungsausschuss der EU-Kommission erst über ein Jahr später – also vermutlich im Juli dieses Jahres – über ein Verbot abstimmen, was angesichts der bekannten Gesundheitsrisiken schon ein Skandal ist. Weitere drei Jahre könnten dann vergehen, bis das Verbot in der Praxis umgesetzt ist.

„Die EU-Kommission geht mit der Gesundheit der Menschen fahrlässig um“, kommentierte BUND-Chemieexperte Manuel Fernández das Verhalten der Brüsseler Behörde. Der Zeitraum zwischen dem Erkennen der Bispenol-Gefahren und den erforderlichen Gegenmaßnahmen sei einfach zu groß. Ein Verbot sei längst überfällig.

Die Chemikalien Bisphenol A lässt sich heute fast überall finden. Sie ist ein Grundstoff für das Hartplastik Polycarbonat, aus dem Trinkflaschen, mikro­wellenfeste Kunststoffboxen, Brotdosen und andere Lebensmittelbehälter hergestellt werden. Sie ist in Epoxidharzen zu finden, die zur Innenbeschichtung von Konserven und Getränkedosen sowie zur Sanierung maroder Wasserleitungen dienen. Bei Kassenbons und anderen Thermopapieren sind BPA und BPS die Entwicklersubstanzen, und sie werden beim Erhitzen in Kassen- oder Ticketautomaten nur zum Teil verbraucht, während der Rest in ungebundener Form auf der Papieroberfläche verbleibt. Über das Papierrecycling landen sie dann beispielsweise in Pizzakartons oder Hygieneartikeln.

Nach Angaben der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wird BPA vom Menschen hauptsächlich über die Nahrung aufgenommen. Zweitwichtigste Quelle ist nach Angaben der Behörde der Hautkontakt mit Thermopapieren. Weltweit werden jedes Jahr rund sechs Millionen Tonnen BPA hergestellt; eine halbe Million Tonnen davon in Deutschland.

BPA sei der bekannteste und meist untersuchte Vertreter unter den hormonellen Schadstoffen, heißt es in einem Hintergrundpapier des BUND. Fehlbildungen der Geschlechtsorgane, Unfruchtbarkeit, Lernstörungen bei Kindern und hormonell bedingte Krebsarten wie Hoden-, Prostata- oder Brustkrebs werden mit ihm in Verbindung gebracht. Neue Studien hätten auch gezeigt, dass BPA Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Übergewicht mitverursacht. Im Februar hatte eine Studie der niederländischen Gesundheitsbehörde (RIVM) gezeigt, dass BPA schon in sehr geringen Dosierungen das Immunsystem von Ungeborenen im Mutterleib und von Kleinkindern angreifen kann, was diese später anfälliger für Lebensmittelallergien und Infektionskrankheiten macht. Ähnliche Eigenschaften wurden nach BUND-Angaben auch für BPS nachgewiesen.

Im Blut und im Urin lasse sich BPA bei über 90 Prozent der Bevölkerung in den Industriestaaten nachweisen, heißt es in dem Hintergrundpapier. Im menschlichen Körper wird der Stoff zwar relativ schnell abgebaut, aber die Zahl deute darauf hin, dass die Menschen einer stetigen BPA-Belastung aus den unterschiedlichsten Quellen ausgesetzt sind.

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"Verbote von hormonellen Schadstoffen ist überfällig", UZ vom 3. Juni 2016



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