Ein Lied begleitet die Klassenkämpfe

Von Burns bis Liebknecht

Von Jenny Farrell

Immer wieder liefert uns die Geschichte positive Versicherungen für unsere gemeinsame Menschlichkeit, ein Gefühl der Kontinuität, ein Weiterreichen der Fackel. Das gilt in hohem Maße für Robert Burns‘ Lied „For a’ That“, bei uns bekannt unter dem Titel „Trotz Alledem“.

Robert Burns, schottischer Volks- und Nationaldichter, wurde vor 260 Jahren, am 25. Januar 1759 geboren. Er lebte in einem Zeitalter der Revolutionen: die Ideen der Amerikanischen Unabhängigkeitserkärung, die Ideen der Französischen Revolution griffen weltweit um sich und gaben Mut, der erfolgreiche Sklavenaufstand und die antikoloniale Revolution in Haiti gehört ebenfalls zu den wichtigsten Ereignissen jener Zeit. Für Burns kam die Agrarrevolution in Schottland dazu, die die kapitalistische Modernisierung der Landwirtschaft mit sich brachte; sie führte einerseits zu enormem Reichtum und andererseits zu sozialer Verelendung – wohlhabende Gutsbesitzer standen dem ländlichen Proletariat gegenüber. So entstand in Schottland der Klassenkampf im modernen Sinne. Diejenigen, die die Produktionsmittel besaßen, die die Schlachtfelder und Industriezentren mit Nahrungsmitteln versorgten, erzielten riesige Gewinne, die Armen hatten zu wenig zum Leben; Finanzkrise, Hunger und Tuberkulose fegten durch Schottland.

Die schottischen Besitzlosen, darunter Robert Burns, begrüßten die neuen Ideen, die über den Atlantik kamen: „Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören“; wenige Jahre später verkündeten die Franzosen eine neue Ära der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Zu dieser Zeit, im Jahre 1795, kurz vor seinem frühen Tod, 37-jährig, im Folgejahr, schrieb Burns sein wohl berühmtestes Lied „For a’ That“, das die Idee der weltweiten Brüderlichkeit arbeitender Menschen feiert und bekräftigt.

Im Mittelpunkt aller Burnsschen Gedichte stehen die einfachen Menschen seiner Heimat. Indem er ihr Leben darstellt, erreicht Burns eine Allgemeingültigkeit, die auf alle arbeitenden Leute zutrifft. Er gibt Milchmägden und Pflügern, Weberinnen und Bäuerinnen, Soldaten und Wandermusikanten eine Stimme und schafft einen Kosmos, in dem sich diese Menschen als Teil einer ganzen Gemeinschaft erkennen können. Eine solche vollständige und realistische Darstellung des Volkes unterstreicht seine umfassende Menschlichkeit, erzeugt bei seinen Lesern und Hörern Selbstbewusstsein sowie Hass auf den Gegner. In solchen Darstellungen spüren Burns‘ Leser den Widerspruch zwischen ihrer Menschlichkeit und dem Elend, das sie erleiden. Letztendlich verweisen diese Zeichnungen einfacher Menschen auf die Notwendigkeit revolutionärer Veränderungen.

Diese Prophezeiung des noch utopischen Kommunismus – im Sinne einer gemeinsamen Sache, die die wesentliche Gemeinsamkeit der Werktätigen zum Ausdruck bringt – steht im Zentrum Burnsscher Poesie und wird vielleicht am deutlichsten in „For a’ That“ artikuliert. Dieses Lied reflektiert Menschenwürde, Verachtung für die Reichen und eine Sehnsucht nach weltumspannender Brüderlichkeit. Die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind nie abstrakte Schlagworte, sondern bereits vorhanden, verwurzelt im Leben der Menschen, logische Projektionen ihrer Menschlichkeit.

Ferdinand Freiligrath, Dichter der deutschen bürgerlichen Revolution von März 1848 bis Juli 1849 (später wurde er zum Renegaten), übertrug „For a’ That“ erstmals 1843 ins Deutsche unter dem Titel „Trotz Alledem“. Freiligrath, mit Marx und Engels bekannt, war Mitglied des Bundes der Kommunisten (gegründet 1847 in London) und Redaktionsmitglied der revolutionären „Neuen Rheinischen Zeitung“, die in den Jahren 1848 und 1849 von Marx und Engels herausgegeben wurde.

Damit ergriff Freiligrath Burns‘ Fackel der Revolution. In einer zweiten Fassung änderte er den Text seiner Nachdichtung unter Beibehaltung des Titels, des Rhythmus‘ und der Grundidee, passte ihn der deutschen Situation an und veröffentlichte ihn am 6. Juni 1848 in der „Neuen Rheinischen Zeitung“.

Dieser Text und andere Variationen erfuhren hohen Bekanntheitsgrad als Protestlied in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem in Hannes Waders Interpretation, und sind in der deutschen politischen Liederbewegung mit Burns‘ Originalmelodie bis heute erhalten geblieben.

Das war ‘ne heiße Märzenzeit

Trotz Regen, Schnee und alledem!

Nun aber, da es Blüten schneit

Nun ist es kalt, trotz alledem!

Trotz alledem und alledem –

Trotz Wien, Berlin und alledem –

Ein schnöder scharfer Winterwind

Durchfröstelt uns trotz alledem!

Die Waffen, die der Sieg uns gab

Der Sieg des Rechts, trotz alledem

Die nimmt man sacht uns wieder ab

Samt Pulver, Blei und alledem

Trotz alledem und alledem –

Trotz Parlament und alledem –

Wir werden uns‘re Büchsen los

Soldatenwild trotz alledem!

Heißt „Gnäd‘ger Herr“ das Bürschlein dort –

Man sieht‘s am Stolz und alledem

Und lenkt auch Hunderte sein Wort

Es bleibt ein Tropf trotz alledem

Trotz alledem und alledem

Trotz Band und Stern und alledem –

Ein Mann von unabhän‘gem Sinn

Schaut zu und lacht, trotz alledem

Und wenn der Reichstag sich blamiert

Professorhaft, trotz alledem!

Und wenn der Teufel reagiert

Mit Huf und Horn und alledem –

Trotz alledem und alledem

Es kommt dazu, trotz alledem

Dass rings der Mensch die Bruderhand

Dem Menschen reicht, trotz alledem!

Trotz alledem und alledem

Es kommt dazu, trotz alledem

Dass rings der Mensch die Bruderhand

Dem Menschen reicht, trotz alledem!

In der Arbeiterbewegung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde das geflügelte Wort „Trotz alledem“ zunehmend als Ausdruck proletarischen Widerstandes verstanden. Doch war für die damaligen Zeitgenossen vor allem die ursprüngliche Burns-Nachdichtung „Ob Armuth euer Loos auch sei“ der Bezugspunkt, nicht Freiligraths variierte Fassung. Für diese gibt es im Liedrepertoire der Arbeiterbewegung im 19. und im frühen 20. Jahrhundert kaum Belege.

Am 8. November 1918 löste der Kieler Matrosenaufstand revolutionäre Aufstände im ganzen Land aus. Karl Liebknecht verkündete in Berlin vom erstürmten Schlossbalkon die freie sozialistische Republik Deutschland. Am Folgetag, dem 9. November, gründete er mit Rosa Luxemburg „Die Rote Fahne“, die auch das Zentralorgan der kurz darauf entstandenen Kommunistischen Partei blieb. Zwei Wochen darauf, am 15. Januar 1919, wurden Liebknecht und Luxemburg ermordet. Liebknecht schrieb den Leitartikel für den 15. Januar am Vortag. Es ist seine letzte öffentliche Erklärung und sein Vermächtnis. Der Artikel, der die Fackel der Revolution aufgreift, trägt den Titel „Trotz alledem“ und endet:

Die Geschlagenen von heute werden die Sieger von morgen sein. (…)

Noch ist der Golgathaweg der deutschen Arbeiterklasse nicht beendet, aber der Tag der Erlösung naht. … Himmelhoch schlagen die Wogen der Ereignisse und wir sind es gewohnt, vom Gipfel in die Tiefe geschleudert zu werden. Aber unser Schiff zieht seinen geraden Kurs fest und stolz dahin bis zum Ziel.

Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird, leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!

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"Von Burns bis Liebknecht", UZ vom 25. Januar 2019



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