Der schnelle Weg von einer „Wahrheit“ zu einer Verschwörung

Von Skepsis zum Zynismus

Medienkritik ist in Mode gekommen. Medienkritiker früherer Zeiten kamen oft selbst aus dem Metier, ansonsten beteiligten sich betroffene Politiker gerne an der Schelte. Seit einigen Jahren ist die Kritik an dem, was in Medien zu lesen, zu sehen und zu hören ist, ein richtiger Volkssport geworden. Dass sich diese Entwicklung die Verantwortlichen in den Verlagshäusern und Sendeanstalten selbst zuzuschreiben haben ob ihren selbstauferlegten Kriterien für journalistische Arbeit, wird nicht thematisiert. Lieber macht man mit bei dem Spiel, ohne oder mit nur geringer Sachkenntnis die ungeprüften Nachrichten eilig herauszupusten. Nicht verwunderlich, dass das Schlagwort von der „Lügenpresse“ von nicht wenigen aufgegriffen wurde. Jedoch ist das Hauptproblem dieses heruntergekommenen Mediengeschäfts nicht die manifeste Lüge. Vielmehr wird bisweilen die „Wahrheit verfehlt“. Selten wird handfest gelogen, zentrale Probleme sind vielmehr zum Beispiel das Zitieren genehmer Zeugen, das Auslassen von Details, das Hochspielen bevorzugter Sichtweisen oder generell die negative Meldung: „Only bad news are good news“.

Wissenschaftlich fundierte und inhaltlich gerechtfertigte Kritik, so in der aktuellen Diskussion zu den ökologischen Entwicklungen auf dem Planeten, stand bisweilen widerspruchslos neben verschwörungstheoretischen Anwürfen und glatter Propaganda. Kritik und Geschrei, Skepsis und Zynismus sind jedoch verschiedene Dinge, wie auch die Daten einer „Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen“ zeigen. Auf die Frage, was die Bürger für die wichtigsten Kritikpunkte an den Medien halten, sagten 43 Prozent der Deutschen, dass die Medien „lieber Experten, die zu ihrer Berichterstattung passen, als Experten, die ihnen widersprechen“ zitieren. Man denke nur an die sogenannten „Redaktions“- oder „Recherchenetzwerke“, die angebliche Geheimdokumente veröffentlichen wie Papiere, die die systematische Verfolgung und Internierung von Uiguren in China belegen sollen. Dass die chinesische Regierung einen Kampf führt gegen terroristische Gruppen, gegen Dschihadisten, die in der Provinz Xinjiang operieren, wird unterschlagen. Man denke an den Schwarm von „investigativen Journalisten“, die Ungereimtheiten zu wichtigen Fakten aufpeppen wie Flugzeuge, die geheimnisvoll vom Radar verschwunden seien oder – völlig klar – vom „Russen“ abgeschossen wurden. In Erinnerung sind hoffentlich auch noch die wüsten Berichte von OPWC zu den Giftgas-Fassbomben in Syrien, die auch die syrische Regierung zum Schuldigen machten, ohne handfeste Beweise dafür zu haben.

Es fällt auf, dass die Begriffe Medienskepsis, Medienzynismus und Medienvertrauen oft gleichwertig verwendet werden, die klassische Haltung, die auch Karl Marx auszeichnete, gerät in Vergessenheit. „De omnibus dubitandum“ – „An allem ist zu zweifeln“, das schrieb Karl Marx 1867 lateinisch in das Poesiealbum seiner Tochter Jenny auf die Frage nach seinem Lebensmotto.

Dieses kritisch-distanzierte Infragestellen, der konstruktive Zweifel auch an der eigenen Erkenntnisfähigkeit, eine Distanz und auch das Eingeständnis von Fehlurteilen sind im kapitalistischen Mediengeschäft und auch bei vielen Mediennutzern nicht erwünscht und wohl auch nicht erwartet.

Auffällig an der jüngsten Phase der Medienkritik war, dass eine laute Minderheit den Ton vorgab, die vorgeblichen „Wutbürger“ oder die vor Selbstmitleid triefende AfD. Dieser Ton war nicht skeptisch oder konstruktiv-kritisch gegenüber den herrschenden Meinungen, sondern meist abwertend und beleidigend. Fundierte, empirisch untermauerte Medienkritik wurde nur beiläufig wahrgenommen, viele, die besonders scharf gegen die Medien agitierten, trugen Vorwürfe vor, die man als Verschwörungstheorien bezeichnen kann: etwa den Vorwurf eines Komplotts der Medien und der Politik zur Unterdrückung des Volkes. Dass diese Vorwürfe nicht nur krasse Außenseitermeinungen waren, sondern auch in Teilen der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fielen, zeigt die oben erwähnte Studie. So stimmten etwa 43 Prozent der Bevölkerung im letzten Jahr der Aussage zu, dass „die Medien Hand in Hand arbeiten, um die Bevölkerungsmeinung zu manipulieren“. Insgesamt schlossen sich selbst auf dem Höhepunkt des Lügenpresse-Hypes weit weniger Menschen verschwörungstheoretischen und zynischen Sichtweisen an, als man angesichts der Allgegenwart der Debatten hätte vermuten können. Gleichwohl ist der Anteil derer, bei dem man solche Denkweisen vermuten kann, beträchtlich.

Der Einfluss von verschwörungstheoretischem Denken auf das Medienvertrauen ist kein unbekanntes Phänomen, die von den Faschisten genährte Behauptung einer jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung fiel auf fruchtbaren Boden in Teilen der deutschen Bevölkerung. Wenn der Glaube an Verschwörungstheorien auf eine grundsätzliche Verschwörungsmentalität hindeutet, liegen die Gründe tiefer. Kontrollverlust, ein geringes Selbstwertgefühl, die Welt als chaotisch zu empfinden, führen zu Zynismus und dem Unvermögen, analytisch zu denken.

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Über den Autor

Herbert Becker (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht. Seit 2016 schreibt er für die UZ, seit 2017 ist es Redakteur für das Kulturressort.

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"Von Skepsis zum Zynismus", UZ vom 6. Dezember 2019



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