Warntafeln an den Tatorten der Schuldigen

Nina Hager im Gespräch mit Ulrich Sander

Ulrich Sander ist Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten (VVN-BDA) und Mitglied der VVN-Geschichtskommission in Nordrhein-Westfalen.

UZ: Vor 25 Jahren startete der Kölner Künstler Günter Demnig das Kunstprojekt „Stolpersteine“. Dabei wird mit kleinen Gedenkplatten im Boden vor dem letzten Wohnsitz der Opfer an diese erinnert. Ihr führt nun etwas Ähnliches an den Tatorten der Schuldigen durch?

Ulrich Sander: Mit solchen Aktionen haben vor 20 Jahren, ebenfalls in Köln, die Bezirksvertreter von Köln-Lindenthal auf Antrag der SPD begonnen. Die VVN-BdA von Nordrhein-Westfalen hat dies aufgegriffen. Wir machen nun seit dem 75. Jahrestag des 4. Januar 1933 im ganzen Bundesland weiter.

UZ: Das ist ein wichtiger Jahrestag …

Ulrich Sander: Ja, an jenem Tag traf in der Villa des Bankiers von Schröder die Spitze der NSDAP mit Wirtschaftsvertretern und konservativen Spitzenleuten zusammen, um die Machtübertragung an Adolf Hitler und seine Partei zu vereinbaren. Und zur Erinnerung daran verlegte der SPD-Ortsverein – er finanzierte die Aktion – vor 20 Jahren eine Gedenkplatte vor der Villa am Stadtwaldgürtel 35, um vor einer neuen faschistischen Entwicklung mit Hilfe der ökonomischen Eliten zu warnen.

UZ: Von den Stolpersteinen für die Opfer gibt es inzwischen 55000. Und von den Warntafeln?

Ulrich Sander: Wer weiß? Es gibt Dutzende solche Tafeln in Herten, in anderen Orten Schilder an den Stätten, wo Zwangsarbeiter litten. In Dortmund, Gelsenkirchen und Duisburg gibt es Beschlüsse der Kommunalparlamente zur Schaffung solcher Tafeln. Zum Beispiel zur warnenden Erinnerung an die Hitlerförderer wie Thyssen und Kirdorf. Die Anträge dazu hat die VVN-BdA gestellt.

UZ: Wie seid ihr vorgegangen?

Ulrich Sander: Wir begannen eine „Rallye zur Spurensuche“ nach den „Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933–1945“. Das heißt, wir haben zunächst den Weg genommen, den Hitler und von Papen gegangen sind, um das umzusetzen, was am 4. Januar 1933 in Köln begann. Sie haben sich in Mülheim und Dortmund mit anderen Industriellen getroffen, um diese für die Förderung der Nazis als Regierungspartei zu gewinnen. Das heißt: Sie versprachen eine Politik im Sinne des Großkapitals und baten die Kapitalisten um Wahlkampfspenden. Beides geschah ja bekanntlich, das Geld floss und die Ministerliste mit Nazis und Konservativen wurde aufgestellt.

Wir haben dann beantragt, dass auch in Dortmund und Mülheim und anderswo warnende Platten in den Boden eingelassen werden wie in Köln.

Tafel bei der Villa des Bankiers von Schröder. Hier trafen sich am 4.1.1933 die Spitzen der Nazi-Partei mit Wirtschaftsvertretern und konservativen Spitzenleuten

Tafel bei der Villa des Bankiers von Schröder. Hier trafen sich am 4.1.1933 die Spitzen der Nazi-Partei mit Wirtschaftsvertretern und konservativen Spitzenleuten

( Archiv)

UZ: Vereinzelt ist das ja gelungen, aber einen großen Durchbruch gab es nicht?

Ulrich Sander: Gab es nicht, aber wir begannen in die Öffentlichkeit zu gehen mit der Aufforderung: Gedenkt der Toten, aber erinnert auch an die Täter, damit ihre Nachfahren nie wieder Erfolg damit haben, mit verbrecherischen Methoden eine rechte umstürzlerische Politik und Praxis zu betreiben. Es ist ja zu begrüßen, dass mit der Aktion „Last chance“ alte KZ-Wächter vor Gericht gestellt werden, aber was ist mit den ökonomischen Eliten, den Sklavenhalterfirmen? Da kauft sich in Köln eine Goldhandelskette den Namen Degussa, das heißt Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt, und wirbt damit. Die Firma dieses Namens hat das Zahngold der in Auschwitz Ermordeten vermarktet und zusammen mit IG Farben die Firma Degesch betrieben, die das Zyklon B an die Vernichtungslager lieferte.

UZ: Wie geht es nun weiter? Von der Zahl wie bei den Stolpersteinen seid ihr ja noch weit entfernt.

Ulrich Sander: Wir unterstützen die Stolpersteinbewegung und betreiben eine Art Warntafelbewegung. Das geschieht nicht nur mit Bürgeranträgen für die Warntafeln, das geschieht auch damit, dass Schüler die Straßennamen von Naziökonomen überkleben, die es ja immer noch zahlreich gibt, und dass Straßenumbenennungen verlangt werden. Da hängen wir provisorische Schilder an den Standort der Villa Springorum in Dortmund und am Kirdorf-Sitz in Mülheim/Ruhr auf, um zu erinnern, wo die Ruhrindustriellen sich trafen, um den Teufelspakt mit Hitler umzusetzen. Oder wir veröffentlichen Texte für antifaschistische und antikapitalistische Stadtrundgänge. Wir kennzeichnen die Stätten, wo Zwangsarbeiter/innen litten. Mit Aufklärungsschriften stellen wir uns der allgemeinen Krupp-Verehrung entgegen. An der Wirkungsstätte des Förderers der Aktion für die Adolf-Hitler-Spende der Konzerne und Juden-Deporteurs Ernst Achenbach, er war später Essener FDP-Landes- und Bundespolitiker, haben wir eine Kundgebung durchgeführt und die Umbenennung der FDP-Geschäftsstelle verlangt. In 35 Städten starteten wir unsere Aktionen und dokumentierten sie im Internet. Alle unsere Begründungen für unsere Forderungen und alle unsere Aktionen stellten wir in einem Buch zusammen.

UZ: Ihr bewegt euch nur in Nordrhein-Westfalen mit euren Aktionen?

Ulrich Sander: Wir gehen nun darüber hinaus. Wenn man Flick und Krupp entlarven will, dann bieten sich hier viele Schauplätze. So unterstützten wir die Umbenennung des Flick-Gymnasiums in Südwestfalen, Kreuztal. Wir müssen aber ran an die Quandts. Da gibt es einen Tatort in Hagen, aber die schlimmsten Tatorte der Quandts waren in Hannover und Berlin. In Gardelegen wurden 1945 über tausend Zwangsarbeiter des Quandt-KZ Hannover-Stöcken in einer Scheune verbrannt. Mit den Antifaschisten dort sind wir in Kontakt getreten. In Brandenburg haben schleimende Ortspolitiker nach 1990 sogar eine Schule nach Herbert Quandt benannt. Das ist doch widerlich, dagegen muss doch etwas getan werden. Zudem hat ein außerordentlicher Bundeskongress der VVN-BdA kürzlich in Bochum zur Geschichtspolitik getagt und beschlossen, die Bewegung der Spurensuche nach den Verbrechern der Wirtschaft 1933–1945 auf das ganze Land auszuweiten.

UZ: Wo gibt es Informationen?

Ulrich Sander: Auf der Webseite der VVN-BdA NRW (www.nrw.vvn-bda.de), dort bitte die Sonderseite aufsuchen mit dem Signet des Heartfield-Posters, auf dem der Milliardär Hitler das Geld zuschiebt – „Millionen stehen hinter mir“. Zudem bitte die Bücher beachten: „Von Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933–1945“ und „Der Iwan kam bis Lüdenscheid“, Protokoll einer Recherche zur Zwangsarbeit. Schließlich gibt es noch die Fotogalerie von r-me­diabase.eu, ein Fotoportal, das auch über unsere Sonderseite erreichbar ist. Mit ihr arbeiten wir eng zusammen, um reaktionäre Straßen-, Gebäude- und Schulbezeichnungen anzuprangern, Aufklärungsaktionen bekannt zu machen und auf gute Beispiele hinzuweisen.

UZ: Hitler als Kreatur des Finanzkapitals – gab es da nicht „Ärger“ mit dem Verfassungsschutz?

Ulrich Sander: Ja, in Verfassungsschutzberichten, zuletzt in Bayern, wird behauptet, wir seien verfassungsfeindlich, weil wir die bürgerliche kapitalistische Ordnung in jedem Fall als Vorstufe zum Faschismus darstellen. Das ist aber gar nicht unsere Position, wenn auch manche sehr linke Leute dem bayerischen Verfassungsschutz ungewollt zustimmen. Wir sagen: Der Faschismus ist nicht ohne Kapitalismus denkbar, aber die bürgerliche kapitalistische Ordnung muss nicht zum Faschismus führen. Alle antifaschistischen Kräfte müssen gemeinsam die Demokratie verteidigen und die reaktionärsten Teile des Finanzkapitals zurückdrängen. Wozu wir mit unserer Spurensuche beitragen wollen.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Warntafeln an den Tatorten der Schuldigen", UZ vom 2. September 2016



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