DGB-Bundeskongress wählt neue Vorsitzende – Debatte um Aufrüstung

Wer ist „wir“?

Yasmin Fahimi ist beim DGB-Bundeskongress in Berlin mit 93 Prozent Zustimmung zur Bundesvorsitzenden gewählt worden. Sie ist damit die erste Frau an der Spitze des Gewerkschaftsbundes. Fahimi kommt aus der IG BCE und aus der SPD. 2014 wurde sie SPD-Generalsekretärin, übte diese Funktion aber nicht lange aus. Parteichef Sigmar Gabriel wird nachgesagt, dass er die Zusammenarbeit mit ihr nicht unbedingt fortsetzen wollte. Fahimi wechselte daraufhin Anfang 2016 ins Arbeitsministerium und wurde dort Staatssekretärin. In den bürgerlichen Medien wird sie als eine Aufsteigerin beschrieben, die sich durchsetzen kann, als „linke Modernisiererin“. Dem „Tagesspiegel“ erzählte sie 2016, dass der Kern der Sozialpartnerschaft sei, dass man am Ende auch Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen übernehmen müsse. „Mit Totalopposition erreicht man nichts“, sagt sie.

In ihrer Antrittsrede auf dem DGB-Bundeskongress traf sie einige allgemeine Aussagen zu Themen wie der gesellschaftlichen Bedeutung der Gewerkschaften, zu Demokratie, Integration, Gleichstellung und Transformation. Sie wandte sich gegen einen Stopp der Gasimporte aus Russland, auch weil dieser massive Auswirkungen auf die deutsche Industrie habe. Ebenso deutlich forderte sie die Abschaffung der Schuldenbremse. Diese sei „nichts anderes als eine ideologische Bremse gegen einen aktiven Staat in eine sozial verantwortliche Gestaltungspolitik“, so Fahimi.
Zur Finanzierung der Aufgaben des Staates in Zeiten „historischer Herausforderungen“ schlug die neue DGB-Chefin vor, die Vermögensteuer wieder einzuführen und eine zusätzliche, zeitlich begrenzte Sondervermögensabgabe einzuführen: „Es ärgert mich wirklich zunehmend, wenn ich jetzt immer öfter höre: Wir werden jetzt alle ärmer. – Wer ist ‚wir‘? Bis jetzt habe ich immer ein Ergebnis in der Krise kennengelernt: Die Reichen werden immer reicher und die Armen werden immer ärmer.“

Besonders aufmerksam wurden ihre Aussagen zu Waffenlieferungen an die Ukraine und zu den Aufrüstungsplänen der Bundesregierung verfolgt. Fahimi, die von sich sagt, über die Friedensbewegung politisiert worden zu sein, wandte sich zwar gegen das Ziel der NATO-Staaten, 2 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Rüstung auszugeben, befürwortete jedoch Waffenlieferungen in die Ukraine, die „jedes Recht auf Selbstverteidigung“ habe. Mit Blick auf die 100 Milliarden, die die Bundesregierung als „Sondervermögen“ zusätzlich für Aufrüstung ausgeben will, sagte Fahimi: „Ich bin froh, dass Deutschland Mitglied eines Sicherheitsbündnisses ist, das uns Schutz gewährt und in dem wir auch selber Schutz gewähren können. Ich bin ebenso davon überzeugt, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten nicht vor Aufgaben stellen dürfen, für die sie nicht ausgerüstet sind. Aber welche Aufgaben sind es eigentlich? Wie viel Aufrüstung ist wirklich notwendig? Wann beginnt eigentlich eine unkontrollierte Aufrüstung? Das sind keine quantitativen, sondern qualitative Fragen. Wir müssen uns diesen Fragen mit allen darin liegenden Widersprüchen stellen. Und wir wollen tragender Teil der Friedensbewegung bleiben.“ Sie bestreite nicht die „Notwendigkeit angemessener Ausstattung der Bundeswehr“, es dürfe aber auch keinen „Freifahrtschein für Militärausgaben“ geben. Von der Bundesregierung forderte sie konkrete Antworten auf die Frage, wofür die 100 Milliarden Euro ausgegeben und wie sie aufgebracht werden sollen. Die Beschäftigten trügen bereits genügend Lasten. „Verteidigung und Friedenssicherung“ dürften aber auch nicht zulasten von Zukunftsinvestitionen oder Sozialstaat gehen.

Fahimi ließ ihre Haltung zum 100-Milliarden-Rüstungsprogramm offen – beziehungsweise machte sie von den weiteren Vorhaben der Bundesregierung abhängig. Sie rief stattdessen zu weiteren Debatten innerhalb der Gewerkschaften auf. Ob es ihr darum geht, eine Beschlussfassung zum Thema auf dem DGB-Bundeskongress zu vermeiden, war zu Redaktionsschluss noch nicht klar. Längere Beratungen innerhalb der Delegationen der Einzelgewerkschaften lassen zumindest darauf schließen, dass es zu diesem Thema keine eindeutigen Mehrheiten gab.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Wer ist „wir“?", UZ vom 13. Mai 2022



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