Die Provokation von Anchorage und die chinesisch-russische Antwort

Zeitenwende

Die Biden-Regierung bemüht sich erfolgreich, auch dem Gutgläubigsten klarzumachen, dass die Hoffnungen, mit ihr zöge etwas mehr Zivilisation ins Weiße Haus ein, auf Sand gebaut sind. Zuerst bezeichnete Joseph Biden den russischen Präsidenten Wladimir Putin als „seelenlosen Killer“ – ein ziemlich außergewöhnlicher Vorgang in der internationalen Politik. Selbst der ebenfalls nicht gerade zartbesaitete türkische Präsident Erdogan meinte, Bidens Aussage sei „für einen Präsidenten unangemessen“, „wirklich unakzeptabel“ und „nichts, was man ertragen“ könne.

Danach nutzte die US-Diplomatie ein hochrangiges Treffen des Außenministers der Biden-Regierung, Antony Blinken, mit seinem chinesischen Amtskollegen in Anchorage (US-Bundesstaat Alaska), um den chinesischen Gästen aus der beliebten „Position der Stärke“ deutlich zu machen, dass sie den Zivilisations- und Menschenrechtsstandards des „Westens“ keinesfalls genügten – aus Sicht des US-Imperiums hätten sie noch sehr viel zu lernen und zu verbessern, bis man mit ihnen wie mit zivilisierten Menschen verkehren könnte. Blinken hielt seinen Gästen, darunter Außenminister Wang Yi und Spitzendiplomat Yang Jiechi, einen Vortrag über seine „tiefe Besorgnis“ über die angeblichen chinesischen Menschenrechtsverletzungen in Tibet, Hongkong und der Xin­jiang-Region, die Bedrohung Taiwans, das Auftreten im Südchinesischen Meer und chinesische Cyberattacken auf US-Einrichtungen. Hinzu kämen der ökonomische Druck auf US-Verbündete sowie die Verbreitung des Coronavirus. All dies, so Blinken, bedrohe „die regelbasierte Ordnung, welche die globale Stabilität“ garantiere.

Während Wladimir Putin eine zurückhaltende und ironische Form für seine Antwort auf Bidens Ausfall gewählt hatte, redete Yang Jiechi Klartext. Nachdem er die Erfolge der Volksrepublik bei der Bekämpfung der Armut und der Entwicklung der Wirtschaft herausgestellt und überdies die Vorhaben des 14. Fünfjahresplans deutlich gemacht hatte, meinte er mit Blick auf die inneren ökonomischen und politischen Zustände des Imperiums: „Die Vereinigten Staaten haben nicht die Qualifikation zu sagen, dass sie zu China von einer Position der Stärke sprechen wollen.“ China werde entschieden seine nationale Souveränität, seine Sicherheit und seine Entwicklungsinteressen verteidigen. Chinas Entwicklung und sein Wachstum seien nicht zu stoppen.

Die US-Seite hatte die als „strategischen Dialog“ geplanten Gespräche mit einer demonstrativen Rundreise des US-Kriegsministers, Lloyd Austin, zu den Verbündeten der Asien-Pazifik-Region, einem Treffen des US-Präsidenten mit den Staatschefs der QUAD-Gruppe (USA, Australien, Indien und Japan) sowie weiteren Sanktionen gegen die Volksrepublik „begleitet“. Washington versuchte damit klarzumachen, dass China isoliert sei, die USA hingegen von starken Verbündeten unterstützt würden – die Volksrepublik müsse sich als gleichsam umstellt betrachten. Sanktionen seien nicht der Weg, Gäste willkommen zu heißen, meinte ein wenig beeindruckter Wang Yi dazu. Yang Jiechi erklärte, die USA sollten aufhören, ihre Version von Demokratie als die überlegene zu propagieren – schließlich hätten sie im eigenen Land selbst viele Probleme in Bezug auf die Menschenrechte. Diese Probleme seien „tief verwurzelt“ und „nicht erst in den letzten vier Jahren entstanden, wie etwa Black Lives Matter“. Die populäre und hoch qualifizierte chinesische Übersetzerin Zhang Jing trug die chinesische Position in klaren Worten vor: China setze nicht auf die gewaltsame Invasion in andere Staaten oder die Beseitigung anderer Regierungen mit diversen Mitteln und auch nicht darauf, Menschen anderer Länder zu massakrieren.

Diese volle diplomatische Breitseite gegen den US-Suprematieanspruch wurde wenige Tage danach ergänzt durch ein Treffen des chinesischen Außenministers mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow in Guilin, Südchina. Nach Angaben der chinesischen Seite standen der iranische Nuklear-Deal, die Situation in Afghanistan, Syrien und Myanmar sowie der Klimawandel und die UN-Reform auf der Tagesordnung. Unter dem Eindruck der durch die Biden-Regierung erneuerten und verschärften Konfrontationspolitik gegen China, Russland und Iran dürften allerdings die Entwicklung der russisch-chinesischen strategischen Partnerschaft und die Sicherung beider Staaten vor den Repressions- und Sanktionsversuchen des US-Imperiums Hauptthema der Gespräche gewesen sein.

Hier ging es vor allem um die Herauslösung aus den Bedrohungen durch das US-kontrollierte internationale Zahlungs- und Verrechnungssystem SWIFT und aus der Dominanz des Dollar. Beides ermöglicht eine Internationalisierung der US-Jurisprudenz. Die hemmungslose Inflationierung der US-Sanktionspolitik macht eine Abkehr aus diesen Strukturen dringend erforderlich. Lawrows klare Absage an Brüssel und Chinas entschiedene Antwort auf die Provokation in Anchorage haben deutlich gemacht, dass die Zeit der Demütigungen vorbei ist. Die eurasischen Hauptmächte haben eine starke Antwort – gemeinsam.

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"Zeitenwende", UZ vom 2. April 2021



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