Zoff über Bewertung der Türkei. BND stuft Merkels Partner in Ankara als Terrorunterstützer ein. Die SPD ist sauer.

„Aktionsplattform“ für Islamisten

Von Rüdiger Göbel

Binnen Monaten sorgt die Türkei mal wieder für Verstimmung in der Bundesregierung. Nach der Affäre um ein „Schmähgedicht“ im April, in der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die Stimmen der SPD-Minister im Kabinett eine Verfolgung des Satirikers Jan Böhmermann durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wegen „Majestätsbeleidigung“ persönlich durchgesetzt hat, führt jetzt eine vertrauliche Einschätzung über die Zusammenarbeit Ankaras mit islamistischen Terroristen für Unmut. Wäre es nach der SPD gegangen, wäre das Papier nicht nur als geheim eingestuft, sondern so erst gar nicht erstellt worden.

Die ARD hatte vergangene Woche eine vertrauliche Einschätzung der Bundesregierung publik gemacht, die es in sich hat. Aus der Antwort einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion, namentlich der Abgeordneten Sevim Dagdelen, geht demnach hervor, dass Merkels Kabinett Erdogans Türkei als Terrorhelfer in Nahost bewertet. Demnach arbeitet Ankara seit Jahren bewusst mit islamistischen und terroristischen Organisationen in der Region zusammen, die Terrorhilfe wird vom türkischen Präsidenten aktiv unterstützt. Wörtlich heißt es laut ARD in der Antwort der Bundesregierung, die „aus Gründen des Staatswohls“ eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war: „Die zahlreichen Solidaritätsbekundungen und Unterstützungshandlungen für die ägyptische MB (Muslimbruderschaft, Anmerkung der ARD-Redaktion), die HAMAS und Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien durch die Regierungspartei AKP und Staatspräsident Erdogan unterstreichen deren ideologische Affinität zu den Muslimbrüdern.“ Die Türkei habe die Beziehungen zur palästinensischen Hamas, die von der EU seit 2003 als Terrororganisation eingestuft ist, und anderen Organisationen sogar gezielt intensiviert, heißt es in dem Regierungspapier weiter: „Als Resultat der vor allem seit dem Jahr 2011 schrittweise islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras hat sich die Türkei zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt.“

Für die klare Analyse, die auf Bewertungen des BND basiert und seit Jahren vorgebrachte Einschätzungen der Linke-Politikerin Dagdelen untermauert, zeichnet der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Ole Schröder, verantwortlich. Der CDU-Politiker ist sonst nicht bekannt für pointierte, zugespitzte Formulierungen. Zugearbeitet worden ist sie freilich vom Kanzleramt, dem der BND untersteht. Dass die offiziell als „vertraulich“ eingestufte Bewertung des Bundesnachrichtendienstes publik werden würde, dürfte wohlkalkuliert worden sein. Mit dem eigentlich für die Beantwortung dieser Fragen zuständigen Außenministerium hat sich das Innenministerium den Angaben zufolge nicht abgestimmt – ein „Büroversehen“, wie es hieß. Tatsächlich hätte Berlins Spitzendiplomat Frank-Walter Steinmeier eine derart offene Brüskierung der Partner in Ankara nicht durchgehen lassen. Der Sozialdemokrat hält sich seit Monaten mit kritischen Äußerungen zum immer autoritäreren Kurs Erdogans zurück, für den seit Wochen andauernden Gegenputsch des Staatschefs inklusive Massenentlassungen und Massenverhaftungen Zehntausender hat er sogar Verständnis geäußert. SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich war denn auch sauer: „Bei einer so sensiblen und weitreichenden Einschätzung hätte das Auswärtige Amt einbezogen werden müssen. Immerhin handelt es sich bei der Türkei um ein NATO-Land, und deutsche Soldaten sind dort gegenwärtig stationiert.“

Während die Sozialdemokraten abwiegeln, warnt ausgerechnet ein weiterer CDU-Mann vor Schönfärberei. „Erdogan will seine Kritiker mundtot machen“, so das Klartextresümee von Michael Brand, Chef des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, nach seinem jüngsten Türkei-Besuch. „Nach dem Putschversuch hat eine neue Zeitrechnung in der Türkei begonnen“, bilanzierte Brand. Menschenrechtsorganisationen hätten aus Angst ihre Büros geschlossen und weitere Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen. „Die Angst geht um, manche trauen sich schon lange nicht mehr, öffentlich Position gegen diese Regierung zu beziehen“, sagte Brand im Gespräch mit Spiegel Online. „Die Mutigen, die den Mund noch aufmachen, werden zur Zielscheibe und müssen damit rechnen, dass sie zum Boxsack Erdogans und seiner Anhänger werden.“ Die Mahnung des CDU-Politikers – nicht zuletzt an seine eigene Regierung: „Wer jetzt aus taktischen Gründen nicht das reale Bild zeichnet und nicht auf Änderung drängt, macht sich mitschuldig.“

Bundesinnenminister Thomas de Maizière gibt sich davon unbeeindruckt. In der Bild am Sonntag machte er auf Harmonie. Man müsse die „komplizierte Lage“ in der Türkei nüchtern betrachten, so der CDU-Mann. Die Einschätzung aus seinem Ministerium, wonach die Türkei eine „zentrale Aktionsplattform“ für Islamisten sei, relativierte er deutlich. Dies sei „ein kleiner Ausschnitt der aktuellen Lage im Land“, so de Maizière. Die Türkei sei aber doch vor allem NATO-Mitglied und ein wichtiger Partner in der Flüchtlingskrise, und im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Dass viele Maßnahmen Ankaras nach dem vereitelten Militärputsch „unverhältnismäßig“ gewesen seien und auch der Umgang mit Menschenrechten oft nicht in Ordnung sei, „das sprechen wir gegenüber unseren Partnern auch an.“ Man dürfe da „nicht naiv“ sein. Im Gegensatz zur SPD in der großen Koalition lehnt der Unionspolitiker einen EU-Beitritt der Türkei nach wie vor ab.

Zuvor hatte schon Kanzlerin Merkel die „besondere Verbindung“ zwischen Deutschland und der Türkei betont. „Was das deutsch-türkische Verhältnis besonders macht, sind die über drei Millionen türkischstämmigen Menschen, die in Deutschland leben.“ Die deutsche Regierung trage die Verantwortung für alle Menschen im Land, sekundierte ihr Innenminister in der Bild am Sonntag, auch für türkische Staatsbürger. Versuche Erdogans, auf Menschen in Deutschland Einfluss zu nehmen, müssten zwar zurückgewiesen werden. Aber: „Wir müssen und können es als freies Land aushalten, wenn er hier Reden hält.“ Dass der Terrorpate nicht nur Reden hält, sondern seine Anhänger gegen Andersdenkende aufhetzt und sein Geheimdienst MIT in Deutschland ein dicht gespanntes Netz von Agenten zur Einschüchterung von Kritikern aufgebaut hat, berichtete der Springer-Boulevard am gleichen Tag. Seine Partner beim BND bittet der türkische Nachrichtendienst mittlerweile ganz offiziell um Amtshilfe bei der Jagd auf Erdogan-Gegner in Deutschland. Soweit bekannt, hat die Merkel-Regierung die Anfrage des NATO-Partners nicht abschlägig beschieden, auch seitens der SPD ist kein Protest laut geworden. Auf Kursänderung in Ankara drängt auch keiner.

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"„Aktionsplattform“ für Islamisten", UZ vom 26. August 2016



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