Richard Höhmann zur Partei „Die Basis“

Analyse statt Etiketten

Richard Höhmann

Genauer hinsehen bedeutet: Nicht bei Erscheinungsformen stehenzubleiben, sondern strukturelle Momente genauer zu erkunden – so auch bei neueren Erscheinungen wie den Corona-Demos und der daraus hervorgegangenen Partei „Die Basis“.

Eine Untersuchung der Heinrich-Böll-Stiftung für Baden-Württemberg, dem „Gründungsländle“ der Partei „Die Basis“, stellt fest: „Die allermeisten Kandidaten und Funktionäre weisen keine oder keine bekannte rechte Politbiografie auf. Ein parteipolitisches Vorleben findet sich eher bei Grünen, Linkspartei oder anderen nicht rechten Parteien.“

Fazit und Ausblick der Studie: „Die Partei fungiert als Sammelbecken, auch für im Zuge der Corona-Krise Neupolitisierte und Protestwähler. Sie übernahm Inhalte der Straßenbewegung und so wurde die Partei ‚Die Basis‘ zum parlamentarischen Arm der Bewegung der Pandemie-Leugner. (…) Um es noch einmal deutlich zu betonen: Die Partei-Neugründung ‚Die Basis‘ ist keine genuin extrem rechte Partei. Ausweislich ihres Programms ist die Partei weder nationalistisch noch konservativ.“

Was bleibt, ist der Vorwurf, „parlamentarischer Arm der Pandemie-Leugner“ zu sein. Es gibt einige Untersuchungen zu dieser Bewegung, etwa des „Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA) der Uni Düsseldorf aus dem Jahr 2021:

Parteipolitisch habe die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen bislang nicht von den sogenannten Anti-Corona-Protesten profitieren können: Weder der AfD noch extrem rechten Splitterparteien sei es bisher erkennbar gelungen, sich an die Spitze solcher Proteste zu setzen oder die eigene Anhängerschaft durch Protestteilnahme in nennenswertem Ausmaß zu vergrößern. Ebenso wenig seien Effekte bei den Kommunalwahlen im September 2020 zu verzeichnen gewesen.

Differenzierte Einblicke liefert auch eine Studie der Uni Basel im süddeutschen und Schweizer Raum: Sozialstrukturell handele es sich um eine alte und akademische Bewegung. Das Durchschnittsalter der Umfrageteilnehmer betrage 47 Jahre, ein Drittel habe Abitur und einen Studienabschluss. Der Anteil Selbstständiger sei mit 25 Prozent deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. 18 Prozent hätten zuletzt „Die Linke“ und 23 Prozent die „Grünen“ gewählt.

Fremden- oder islamfeindliche Haltungen seien nicht festzustellen. Der Faschismus werde seltener verharmlost als in der Gesamtbevölkerung. Eine große Mehrheit will es Menschen aus anderen Ländern erlauben, ins Land zu kommen und dauerhaft hier zu leben. Mehr als 70 Prozent seien gegen eine Privatisierung der wichtigsten öffentlichen Dienstleistungen, nur 28 Prozent gegen die Umverteilung der Einkommen.

Die Befragten vertrauten der parlamentarischen Demokratie, den Medien und der Wissenschaft nicht beziehungsweise nicht mehr. In der Zivilgesellschaft, in Vereinen und in anderen Organisationen seien sie jedoch aktiv und verhielten sich in ihrer Lebensführung durchaus politisch. Viele von ihnen seien neu politisiert, fast die Hälfte von ihnen habe in der Vergangenheit noch an keinem anderen Protest teilgenommen.

Wie passen diese Ergebnisse mit der verbreiteten Wahrnehmung zusammen, die der Bewegung eine unkritische Nähe bis hin zur Verbundenheit zur rechten und Neonaziszene vorwirft?

Hinweise dazu gibt ebenfalls die Studie der Uni Basel:

„Die Entfremdung von der industriell geprägten und durchrationalisierten Hypermoderne zeigt sich nicht nur in der Skepsis gegenüber ihren Institutionen, wie zum Beispiel den Parteien, sondern auch bezüglich einer romantisch inspirierten Hinwendung zu ganzheitlichen, anthroposophischen Denkweisen, dem Glauben an die natürlichen Selbstheilungskräfte des Körpers, Forderungen nach mehr spirituellem Denken und dem Wunsch, Schulmedizin und alternative Heilmethoden gleichzustellen.“

Die Bewegung gleicht in Vielem der bürgerlichen Lebensreformbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts, die die Zumutung der Verstädterung und der Industrialisierung mit der individuellen Flucht in alternative Lebensformen beantwortete. Die spätbürgerliche Ideologie, in der die Lebensreformbewegung wurzelte, bildete den Flickenteppich der Anfang des 20. Jahrhunderts aufkommenden Anthroposophie, lieferte aber auch Versatzstücke für die gleichzeitig sich herausbildenden faschistischen Bewegungen.

Die bürgerliche Lebensreformbewegung und verwandte Weltanschauungen gehörten auch zu den Quellströmungen bei der Herausbildung der „Grünen“. Diese hatten in ihrer Gründungsphase mit der Parole „Nicht links, nicht rechts, sondern vorne“ überhaupt keine Probleme, erzreaktionäre und profaschistische Persönlichkeiten an ihrer Spitze zu haben.

Laut Baseler Studie ist „die Bewegung der Querdenker vor allem durch eine tiefe Entfremdung von Kerninstitutionen der liberalen Demokratie“ charakterisiert. Der parlamentarischen Politik und den Parteien, der Wissenschaft und den Medien – allen Institutionen schlage großes Misstrauen entgegen.

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"Analyse statt Etiketten", UZ vom 7. April 2023



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