Über Kinderbetreuung in der Pandemie

Auf der Strecke geblieben

Tanja ist Erzieherin in einer Kita der Stadt Stuttgart. Ihre Tochter besucht dieselbe Tageseinrichtung wie unsere Jüngste. Am vergangenen Freitag hatte sie, wie alle Erzieherinnen und Erzieher in Stuttgart, Präsenzpflicht in ihrer Einrichtung. Kinder waren keine zu betreuen. Tanjas Kinder mussten in die Notbetreuung einer anderen Kita.

Klare Vorgaben für die Notbetreuung gibt es nicht. „Ich bitte Sie eindringlich: Lassen Sie Ihr Kind bis zum 10. Januar 2021 möglichst zu Hause“ schreibt zum Beispiel die Berliner Bildungssenatorin Scheeres (SPD) an die Eltern. Wer arbeiten muss, darf es individuell mit den Kita-Leitungen klären. Das funktioniert die paar Tage vor Weihnachten, wo sich Eltern wegen der Ferien schon Gedanken gemacht hatten. Aber wer glaubt denn, dass bis Januar das Infektionsgeschehen im Griff wäre?

Die Ankündigung Kanzlerin Merkels, Eltern erhielten bezahlten Sonderurlaub um die Folgen des Lockdown abzufedern, sorgte nur kurz für Freude. Die Regelungen für Eltern schulpflichtiger Kinder sind so löcherig, dass die meisten keinen Sonderurlaub bekommen – für Eltern von Kitakindern gibt es gar keinen. Wer das Problem nicht im privaten Umfeld lösen kann, muss sich zwischen dem Erhalt der Gesundheit oder der des Arbeitsplatzes entscheiden.

Auf der Strecke bleiben die Kinder. Ihre Rechte spielten vor der Pandemie keine Rolle, warum jetzt? Im Mittelpunkt der Debatten stehen die Eltern. Besser gesagt, die Bedürfnisse des Kapitals: Die Reproduktion der Arbeiterklasse und ihre Ausbeutung soll reibungslos und billig funktionieren. Daran ändern die Sonntagsreden und die Kosmetik der letzten Jahre nichts.

„Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung“ steht seit fast 30 Jahren im Sozialgesetzbuch. Inhaltlich ist die Förderung ein Flickenteppich. Jede Stadt, jeder Träger verwirklicht seine eigenen, vielfach religiös geprägten Gedanken. Wem es nicht passt, kann sich den nächsten nicht vorhandenen Platz suchen.

Die DDR sicherte Eltern einen kostenlosen, wohnortnahen Kitaplatz zu. Kitas waren Teil des staatlichen Bildungssystems und hatten einen klar definierten Erziehungsauftrag. So wurde das Recht auf Bildung schon für die Kleinsten verwirklicht.

Die DDR wäre auch mit dem Virus fertig geworden.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Auf der Strecke geblieben", UZ vom 24. Dezember 2020



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