Schuldenbremse war gestern: Geld ist genug da

Corona verscheucht Korona

In den gedruckten Fremdwörterbüchern der Vor-Corona-Zeit lautet die Übersetzung für „Corona“ – häufig auch mit „K“ geschrieben – „Heiligenschein“. Dieser Heiligenschein schwebte jahrzehntelang über dem Mantra, öffentliche Kassen dürften keine Schulden mehr machen, sondern nur so viel Geld ausgeben, wie sie einnehmen. Die „schwarze Null“ wurde zum Nonplusultra seriöser Finanzpolitik, das Wort „Schulden“ ein Schimpfwort.

Ein mikroskopisch kleines Virus namens Corona hat diesen Heiligenschein verscheucht. Stattdessen: Geld spielt keine Rolle. Während vorher jede noch so kleine Rentenerhöhung für Geringverdiener Empörungswellen aller Leitmedien auslöste, schon wenn sie in die Nähe eines dreifachen Millionenbetrages für den Bundeshaushalt kam, schmeißen nun die Herrschenden mit zweistelligen Milliardenbeträgen um sich: Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kündigen für Solo-Selbstständige und Kleinunternehmen 40 Milliarden Euro an Direkthilfen und staatlich abgesicherten Krediten an, die in den kommenden drei Monaten kurzfristig abgerufen werden könnten. Bereits vorher waren größeren Unternehmen Überbrückungskredite in Aussicht gestellt worden. Der VW-Konzern hat mittlerweile, wie viele andere Automobilhersteller auch, seine Werke geschlossen und seine Mitarbeiter mit Kurzarbeitergeld – also ebenfalls staatlichen Mitteln – nach Hause geschickt. Im Windschatten der neuen Großzügigkeit haben auch alle Bundesländer im Rahmen ihrer Haushalte Finanzpakete für „ihre“ Unternehmen gestrickt. Durch die Bank wird das im Grundgesetz und in vielen Länderverfassungen verankerte Verbot der Aufnahme neuer Kredite – also die „Schuldenbremse“ – weggeschoben wie ein Relikt aus tiefster Vergangenheit: Was schert mich meine Propaganda von gestern, scheint die Devise zu sein.

Auch außerhalb von Deutschland ist nun Geld scheinbar im Überfluss vorhanden: 750 Milliarden Euro stellt die Europäische Zentralbank im Rahmen eines Programms mit dem schmissigen Namen „PEPP“ zur Verfügung: „Pandemic Emergency Purchase Programme“. Die Brainstorming-Workshops der Öffentlichkeitsabteilungen des herrschenden Politikbetriebes scheinen also weiter stattzufinden. Ähnliche Zahlengrößenordnungen werden von Donald Trump verkündet – insgesamt stehen wie aus dem Nichts Billionensummen in Dollar und Euro zur Verfügung. Nützen wird das ökonomisch wenig.

Zum einen ist dieses Virus nicht Ursache, sondern nur Auslöser der Krise. „Lunapark“, die „Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie“, weist in ihrer jüngsten, vor der Zuspitzung erschienenen Ausgabe in weiser Vorahnung und mit einer Fülle von Daten auf die „Quartalslüge“ hin, das Coronavirus würde eine weltweite Wirtschaftskrise auslösen, und bemerkt völlig richtig: „Die Ausbreitung des Coronavirus trägt zur Beschleunigung der Krise bei. Doch die Ursache für die Krise ist im kapitalistischen Produktionsprozess selbst zu suchen – was bereits 2019 deutlich wurde.“

Zum anderen versucht hier der Schwanz mit dem Hund zu wedeln. Die Staaten unserer Epoche hängen an der kapitalistischen Warenproduktion und der von den Privatunternehmen organisierten Ausbeutung der Ware Arbeitskraft. Wird diese nun massenhaft nach Hause geschickt, erstirbt der Motor dieses Systems. Staatliche Gelder können das für einige Wochen überbrücken, aber nicht über Monate oder gar Quartale. Dann reden wir nicht mehr über Rückgänge des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2, 3 oder 5 Prozent. Dann ist „ein Einbruch des BIPs um 20 Prozent nicht ausgeschlossen“, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 18. März Albrecht Ritschl, Wirtschaftshistoriker von der London School of Economics, zitiert.

Das sind Dimensionen, die systemsprengenden Charakter hätten. Entscheidend wird sein, ob es den Herrschenden gelingt, das alles auf die Folgen einer Viruserkrankung zu schieben oder ob marxistisch orientierte Organisationen es schaffen, den Blick vom Auslöser weg auf die Ursachen der gegenwärtigen dramatischen Ereignisse zu lenken.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Corona verscheucht Korona", UZ vom 27. März 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit