Zu den Aufgaben der israelischen Linken nach der Wahl

Den gemeinsamen Kampf organisieren

Wir führten dieses Gespräch über den Wahlausgang in Israel mit Nimrod Flaschenberg, einem früheren Berater der Knesset-Abgeordneten Aida Touma-Sliman sowie Manager der hebräischsprachigen Wahlkampagne der „Vereinigten Liste/Chadasch“ und Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Israels. Nimrod lebt und studiert jetzt in Berlin. In diesem Teil des Interviews geht es um einzelne Parteien sowie den Zustand und die Perspektiven der Friedensbewegung. Im ersten Teil (siehe UZ vom 18. November) ging es um die Situation nach den Wahlen und um mögliche reaktionäre Veränderungen in Israel.

UZ: Die rechten Parteien inszenierten sich im Wahlkampf häufig als Gegner der Eliten. Wie siehst du das?

4607 Portraet Flaschenberg 1024x736 1 - Den gemeinsamen Kampf organisieren - Friedensbewegung, Friedenskampf, Israel, Kommunistische Parteien, Wahlen - Internationales
(Foto: Shari Deymann)

Nimrod Flaschenberg: Weil die Regierungen Bennett und Lapid so schlecht für die ärmeren Israelis waren, bezeichneten die Wahlkampagnen des Likud und der ultraorthodoxen Parteien die frühere Regierung als „Regierung der Eliten und der Araber“. Die rechten Parteien beschrieben sich selbst als Repräsentanten des „wirklichen Israel“ im Gegensatz zu den Eliten. Soziologisch betrachtet repräsentiert die Rechte die unteren Schichten der jüdischen Arbeiterklasse und die zionistische Linke repräsentiert die oberen Klassen der jüdischen Bevölkerung. Insoweit hat diese Selbstdarstellung der Rechten etwas für sich.

UZ: Die vereinigte Liste von Chadasch-Ta‘al gewann fünf Sitze in der Knesset. Kannst du uns in wenigen Worten erklären, wofür sie steht, welche Organisationen sie umfasst und wer ihre Wähler sind?

Nimrod Flaschenberg: Chadasch-Ta’al (also nicht mehr „Vereinigte Liste“) ist eine Vereinigung zwischen der „Demokratischen Front für Frieden und Gleichheit“ (Chadasch) und der „Arabischen Bewegung für Erneuerung“ (Ta’al). Chadasch ist eine linke jüdisch-arabische Organisation, die aus der Kommunistischen Partei Israels und anderen Organisationen besteht. Ta’al ist eine arabische Partei, die von Ahmad Tibi, einem prominenten palästinensischen Politiker, geführt wird. Chadasch hat vier Sitze gewonnen, Ta’al einen. Gewählt wurden Ayman Odeh, Ahmad Tibi, Aida Touma-Sliman und Ofer Cassif. Sie alle wurden schon in den letzten Legislaturperioden gewählt. Der vierte Abgeordnete von Chadasch ist Yousef al-Tarawneh, der die beduinische Gemeinde im Negev vertreten wird, eine der am meisten benachteiligten Gruppen in Israel.

UZ: Hat Chadasch-Ta‘al mögliche Verbündete in der Knesset?

Nimrod Flaschenberg: Nachdem die liberal-zionistische „linke“ Partei Meretz – die Teil der letzten Regierung war – an der 3,25-Prozent-Hürde scheiterte, ist Chadasch-Ta’al die einzige linke Kraft in der Knesset, die gegen die Besatzungspolitik und für sozialistische Anliegen kämpft. Die einzige andere linksgerichtete Partei in der Knesset ist die Arbeitspartei (ebenfalls Teil der letzten Regierung) mit vier Sitzen – ein Tiefpunkt für die Partei, die Israel jahrzehntelang geführt hat.

UZ: Vor dem Wahlkampf war Chadasch-Ta‘al mit Balad gemeinsam in der „Vereinigten Liste“. Warum hatte sich die „Balad“-Partei abgespalten?

Nimrod Flaschenberg: Balad widersprach dem Projekt des „Politischen Einflusses“, das die „Gemeinsame Liste“ vertrat. Damit war gemeint, dass die arabische Gemeinschaft ihre politische Macht nutzen wollte, um die Richtung der israelischen Politik zu beeinflussen. Als Reaktion auf die Bereitschaft der Partei Ra’am, alle Prinzipien zu vergessen und auch kein Wort mehr über die Besatzungspolitik zu verlieren, nur um in die Regierung zu gelangen, vertrat Balad die entgegengesetzte Position. Die Parteien, die die arabische Gemeinschaft vertreten, sollten mit gar keiner politischen Kraft aus dem zionistischen Spektrum zusammenarbeiten. Balad erklärte tatsächlich, es gebe keinen Unterschied zwischen dem Likud und Jair Lapid. Chadasch und Ta‘al dagegen vertraten die „traditionelle“ Linie der „Vereinigten Liste“: die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zur Einflussnahme auf das System – zu unseren politischen Bedingungen. Das heißt: Eine Veränderung der Politik als Vorbedingung für unsere politische Zusammenarbeit zu verlangen.

UZ: Wirkte sich das in der Wahl aus?

Nimrod Flaschenberg: Vor der Abspaltung erzielten die drei Parteien eine Übereinkunft, die auf prinzipiellen Forderungen beruhte. Aber im letzten Moment haben interne Streitigkeiten dazu geführt, dass Balad sich für eine eigene Kandidatur entschied. Damit vergeudete sie 140.000 Stimmen, das war – zusammen mit 150.000 Stimmen, die Meretz vergeudete – ein wichtiger Grund für den massiven Gewinn von Netanjahu und seiner faschistischen Verbündeten.

UZ: Welche Rolle spielt die vorhin angesprochene – arabische – Ra’am-Partei?

Nimrod Flaschenberg: Gegenwärtig ist der Sinn und Zweck von Ra’am ein wenig unklar. Sie will Teil einer jeden Regierung werden, um die sozialen und bürgerlichen Rechte der palästinensischen Minderheit in Israel zu fördern. Sie war Teil der letzten Regierung, hat aber kaum Erfolge erzielt. Jetzt wird sie in die Opposition gehen, weil der Likud kein Interesse an ihrer Regierungsbeteiligung hat – ein großer Teil der rechten rassistischen Kampagne drehte sich um Zugeständnisse von Bennet und Lapid an Ra’am. Das hindert Ra’am übrigens nicht daran, weiter mit der Idee einer Regierungsbeteiligung zu liebäugeln.

UZ: Meretz, die zionistische linke Partei, scheiterte an der 3,25-Prozenthürde. Gibt es überhaupt noch eine Linke oder eine Friedensbewegung in Israel?

Nimrod Flaschenberg: Sie schwindet – und sie schwindet schon seit langer Zeit dahin. Eine riesige Welle von jüdischem Nationalismus und jüdischem Überlegenheitsgefühl überflutet das Land. Und das schwindende Friedenslager ist verzweifelt. Dazu kommt: Der öffentliche Diskurs dreht sich nicht um die große Frage der Besatzung, sondern um interne Angelegenheiten oder die alltägliche Realität der Besatzung und Gewalt von beiden Seiten. Die israelischen Medien geben das Narrativ des Militärs wieder und räumen Itamar Ben-Gvir viel Platz ein. Das ist eine Entwicklung, die jede Möglichkeit für eine Friedensbewegung weiter einschränkt.

Allerdings gibt es in der kleinen israelischen Linken einen Prozess der Radikalisierung. Wir sehen zunehmende Aktivitäten von jüdischen Israelis auf der Westbank und eine Bewegung hin zu gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Kämpfen.

UZ: Was wird der Schwerpunkt eurer Arbeit in den kommenden Monaten und Jahren sein?

Nimrod Flaschenberg: Chadasch wird sich dem Kampf gegen die radikale rechte Politik der neuen Regierung verschreiben und die Linke in Israel neu organisieren – unter dem Banner eines gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Kampfes.

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"Den gemeinsamen Kampf organisieren", UZ vom 25. November 2022



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