Der Auftrag

Georg Fülberth ... und ein deutsch-französischer Deal

Georg Fülberth ist emeritierter Professor für Politik und regelmäßiger Kolumnist der UZ

Georg Fülberth ist emeritierter Professor für Politik und regelmäßiger Kolumnist der UZ

Fast sieht es so aus, als bringe sich Sigmar Gabriel für die Zeit nach Schulz in Stellung. Als der französische Präsident Emmanuel Macron seinen Antrittsbesuch bei Angela Merkel machte, holte er ihn am Flugzeug ab. Gern erinnert er daran, dass sie beide einst zu gleicher Zeit Wirtschaftsminister waren.

Bereits am 16. März 2017 hatte in der privaten „Hertie School of Governance“ in Berlin ein öffentliches Gespräch zwischen Gabriel, Jürgen Habermas und Macron – damals noch nicht Präsident, sondern erst Kandidat – über das Thema „Europa neu denken“ stattgefunden. Dort wurde Klartext geredet. Der Gast aus Paris hielt große Investitionen und ein gemeinsames Budget in Europa für nötig.

Derlei hören Angela Merkel und Wolfgang Schäuble nicht gern. Sie wissen, dass ihre Wähler(innen) argwöhnen, die leichtsinnigen Franzosen wollten ihnen in die Tasche greifen. Die „Bild“-Zeitung hat es ihnen mittlerweile schon vorgerechnet. Deshalb baute Macron vor: Solche Ansprüche könne er erst erheben, nachdem er in seinem Land „Reformen“ durchgesetzt habe. Er meinte die Übernahme der Agenda 2010. Aber es gebe Bereiche, in denen auch Deutschland Nachholbedarf habe: Innere und äußere Sicherheit und eine bessere Abwehr von Geflüchteten.

Sigmar Gabriel unterstützte Macrons finanzpolitische Forderungen. Da die Investitionen viel Geld kosten, sei eine Lockerung der bisherigen Sparpolitik nötig. Das widerspricht dem europäischen Fiskalpakt, für dessen Durchsetzung er ebenso mitgesorgt hat wie für das deutsche Vorbild, die Schuldenbremse. Nun ließe es sich tatsächlich vermeiden, dass neue Kredite aufgenommen werden müssen: Durch eine Steuerpolitik, die die Reichen in ausreichendem Maß heranzieht. Gabriel deutet dies sogar an. Das ist dreist, denn als der französische Ökonom Thomas Piketty ihm 2013 persönlich die Wiedereinführung der Vermögensteuer vorschlug, lehnte er rundweg ab. Er ist der Unseriöseste der drei Debattanten.

Jürgen Habermas wiederholte seine Forderung nach einer werteorientierten Vertiefung und Ausweitung der europäischen Institutionen. 1999 hatte er den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien befürwortet, 2001 die Auslieferung von Slobodan Miloševi? an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gutgeheißen. 2003 rief er mit dem französischen Philosophen Jacques Derrida zu einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik auf. Im August 2012 verfasste er auf Vorschlag Gabriels mit dem Philosophen Julian Nida-Rümelin und dem Ökonomen Peter Bofinger ein Papier, in dem eine Souveränitätsübertragung auf Europäische Institutionen zwecks Durchsetzung von Finanzdisziplin gefordert wurde. Es sollte ein Beitrag zum Wahlprogramm der SPD sein, konnte aber auch als Unterstützung des Europäischen Fiskalpakts gelesen werden, der im März des gleichen Jahres ratifiziert worden war. Die Richtigkeit der Agenda 2010 wurde offenbar stillschweigend vorausgesetzt, eine Umverteilung von oben nach unten nicht verlangt.

Nimmt man dies alles zusammen, ergibt sich ein ziemlich schlüssiges Programm: Übertragung des ökonomischen „Modells Deutschland“ auf Frankreich, das als Atommacht eine besondere militärische Position in Europa hat und von der Bundesrepublik in ähnlicher Weise einen größeren Beitrag zur Aufrüstung verlangen kann, wie dies schon Trump getan hat. Hinzu kommt eine schärfere Abschottung des Schengen-Raums. Auf dieser Basis soll anschließend ein deutsch-französischer New Deal für mehr Investitionen erreicht werden. Um die Achse Berlin-Paris lässt sich dann ein Kern-Europa gruppieren, zu dem gewiss auch Belgien, Luxemburg und die Niederlande gehören können.

Merkel und Schäuble hätten gegen dieses sozialdemokratische Programm gewiss nichts einzuwenden, vorausgesetzt, Macron räumt vorher sozialpolitisch auf. Er hat verstanden und muss liefern.

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"Der Auftrag", UZ vom 2. Juni 2017



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