Kontrolle des Mittelmeeres und darüber hinaus

Der deutsche Militarismus greift um sich

Von Nora Kranzler

Seit dem Anschluss der DDR an die BRD wird eine schrittweise Militarisierung der deutschen Außenpolitik gegen die mehrheitliche Kriegsunwilligkeit der deutschen Bevölkerung vorangetrieben. Die Bundeswehr ist seitdem sukzessive in eine flexible Armee im Einsatz umgebaut worden. In den vergangenen Monaten ist der deutsche Militarismus deutlich vorangeprescht. Kriegsministerin Ursula von der Leyen, hat eine „Trendwende“ für die Bundeswehr ausgerufen, die auf Vergrößerung, militärische Außenausrichtung und Aufrüstung abzielt. Für 2017 plant sie die Erhöhung des Wehretats um 2,3 Milliarden auf 36,61 Milliarden Euro und bis 2020 um insgesamt mehr als 10 Milliarden. Trotz steigender Krisen wird humanitäre Hilfe abgebaut. Zivile Entwicklungspolitik wird zunehmend mit militärischer Außenpolitik verbunden, etwa beim Aufbau von Polizeikräften innerhalb entwicklungspolitischer Initiativen. Diese Militarisierung zeigt die steigende Aggressivität der deutschen Außenpolitik an und ist ein Schritt hin zum Aufstieg in die Reihen der militärischen Großmächte.

„Sea Guardian“

Die derzeit längste Mission der Bundeswehr ist die seit 1999 laufende KFOR, die seit Beendigung des NATO-unterstützten Kosovo-Krieges geführt wird, offiziell zur Schaffung eines sicheren Umfeldes für die Rückkehr von Flüchtlingen. Wie aus allen von der NATO mit militärischer Gewalt überzogenen Ländern fliehen aus dem Kosovo täglich Menschen aufgrund der restlosen Zerstörung ihrer Lebensbedingungen. Die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg (1999) zur Aufteilung Jugoslawiens wurde mit Lügen und Kriegspropaganda von der damaligen rot-grünen Bundesregierung vor der deutschen Öffentlichkeit durchgesetzt. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg zog deutsches Militär in einen direkten Krieg.

Am 29. September hat der Deutsche Bundestag einem Antrag der Bundesregierung zur Teilnahme von bis zu 650 Soldaten der Bundeswehr an der neu geschaffenen NATO-Operation „Sea Guardian“ im Mittelmeer zugestimmt. Diese löst die nach dem 11. September 2001 zur vermeintlichen Terrorabwehr eingerichtete Mission „Active Endeavour“ nach 15 Jahren ab, die noch den damals ausgerufenen NATO-Bündnisfall zur Grundlage hatte. Offiziell dient der neue Einsatz der Bekämpfung des Terrorismus und der Kontrolle des Waffenembargos gegen Libyen. Dabei beruft sich die NATO auf eine im Juli 2016 verabschiedete Resolution (2292) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (VN) zur Durchsetzung des Waffenembargos gegen den libyschen Staat. Einsatzgebiet ist nicht nur wie vorgesehen das Gewässer vor der libyschen Küste, sondern das gesamte Mittelmeer, einschließlich der Straße von Gibraltar und ihrer Zugänge sowie der darüber liegende Luftraum, der durch AWACS-Flugzeuge überwacht wird.

„Sea Guardian“ bildet einen Beitrag zur geostrategischen Kontrolle des Mittelmeerraumes. Neben der Sicherung der Transportwege und der Kon­trolle des zivilen Seeverkehrs dient die Operation der Fluchtabwehr durch die Sperrung von Fluchtrouten. Sie komplettiert die im Herbst 2015 eingerichtete EU-Militärmission EUNAVFOR MED (Sophia), die zwischen italienischer und libyscher Küste aktiv ist. Ein weiterer Einsatz mit deutscher Beteiligung ist die bewaffnete VN-Mission UNIFIL vor der libanesischen Küste, die – offiziell zur Unterbindung von Schmuggel, tatsächlich zur Kontrolle des Südlibanon – nach dem Krieg zwischen Israel und Libanon im Jahr 2006 installiert worden ist. Hinzu kommt die Beteiligung der Bundeswehr an der NATO-Unterstützung in der Ägäis, wo sie in den Hoheitsgewässern zwischen türkischem Festland und den griechischen Inseln Lesbos und Chios wiederum Seeraumüberwachungsaufgaben ausführt. Die transatlantische Allianz kontrolliert das „mare nostrum“ im Sinne der Durchsetzung und Aufrechterhaltung ihrer neoliberalen Wirtschaftsordnung, auf Kosten der ökonomisch unterentwickelten Welt.

Nach Asien und Afrika

Über das Mittelmeer hinaus ist die Bundeswehr im Sinne der deutschen Exportwirtschaft an der Absicherung weiterer geostrategischer Punkte beteiligt. So seit 2008 in Somalia an der EU-Mission „Atalanta“ am Horn von Afrika, der Nahtstelle zwischen Mittelmeer, Rotem Meer und indischem Ozean. Bedeutsam ist ferner die Kontrolle über Zentralasien mit Afghanistan, wo Deutschland seit 2001 Krieg führt und das afghanische Militär der westlich installierten Regierung gegen „opponierende militärische Kräfte“ ausbildet. Ebenso wirkt die Bundeswehr im Irak, wo sie indirekt mit logistischer Unterstützung am Irakkrieg von 2003 beteiligt war, an einer Ausbildungsmission für irakische Streitkräfte und kurdische Peschmerga mit. Schließlich ist die Bundeswehr seit Dezember 2015 am derzeit gravierendsten Kriegseinsatz in Syrien beteiligt, der als Anti-IS-Unterstützung dargestellt wird. Ohne völkerrechtliche Mandatierung und somit unter Missachtung der staatlichen Souveränität Syriens betreibt die Bundeswehr militärische Lageaufklärung zu Luft (Tornados, Tankflugzeug Airbus A310) und zu See (Fregatte Augsburg). Dabei verweigert sie vehement die Zusammenarbeit mit den gegen den IS vorgehenden Kräfte, der russischen und syrischen Regierung. Politisch unterstützt sie islamistische Rebellengruppen und beteiligt sich an einem Wirtschaftsembargo gegen den syrischen Staat, dessen Bevölkerung kriegsbedingt eine schwere humanitäre Krise erleidet.

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"Der deutsche Militarismus greift um sich", UZ vom 7. Oktober 2016



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