Linkes Wahlbündnis NUPES verdoppelt Sitze im ­Parlament. Herbe Niederlage für Macrons Partei

Der König ist nackt

Nach der zweiten Runde der Wahl zur französischen Nationalversammlung am letzten Sonntag steht fest: Der gerade erst wiedergewählte Präsident Emmanuel Macron hat seine Mehrheit im Parlament verloren. Sein Wahlbündnis „Ensemble!“ bekommt mit 38,57 Prozent der Wählerstimmen voraussichtlich 251 der 577 Sitze. Macron muss jetzt eine Koalitionsregierung bilden. Das gab es in Frankreich seit über 60 Jahren nicht mehr. Der „Sonnenkönig“ steht nackt da: Das Ergebnis zeigt, dass Macron nicht seiner Politik wegen wiedergewählt wurde, sondern zähneknirschend von denjenigen, die Frankreich eine Präsidentin Le Pen ersparen wollten.

Jean-Luc Mélenchons Wahlbündnis NUPES (Neue ökologische und soziale Volksunion) aus „La France Insoumise“, der Französischen Kommunistischen Partei (PCF), den Grünen (EELV) und der sozialdemokratischen Parti Socialiste (PS) ist der große Gewinner der Parlamentswahl. NUPES holte 31,6 Prozent der Stimmen und zieht mit 142 Abgeordneten in die neue Nationalversammlung ein. 12 davon gehören der PCF an, 84 „La France Insoumise“. Bei der Wahl 2017 waren die Parteien zusammengerechnet auf 58 Sitze gekommen.

Ihr Ziel, Mélenchon zum Premierminister zu machen, hat NUPES verfehlt. Mindestens 289 Sitze sind dafür notwendig. Immerhin ist NUPES jetzt stärkstes oppositionelles Wahlbündnis. Die teilnehmenden Parteien hatten vor der Wahl angekündigt, eigenständig bleiben und ihre Fraktionen nicht zusammenlegen zu wollen.

NUPES hat es geschafft, progressive Forderungen in den Wahlkampf zu tragen und mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Kandidatinnen und Kandidaten von NUPES waren einer würdelosen Schmutzkampagne ausgesetzt.
Nach dem ersten Wahlgang hatte Fabien Roussel, Generalsekretär der PCF, postuliert, es gelte, Nichtwähler und die wahlberechtigte Jugend an die Urnen zu bekommen. Die niedrige Wahlbeteiligung von 46,23 Prozent spricht nicht dafür, dass das geklappt hat.

Der faschistische „Rassemblement National“ (RN, „Nationaler Zusammenschluss“), ehemals „Front National“, holte mit 17,3 Prozent der Stimmen 89 Mandate. Das sind elf mal so viel wie vor fünf Jahren. Die ehemalige Vorsitzende Marine Le Pen hat angekündigt, die Parlamentsfraktion führen zu wollen. Der RN erhebt Anspruch auf den Posten des Vizepräsidenten des Parlaments sowie den Vorsitz der Finanzkommission. Der geht traditionell an die stärkste Oppositionspartei.

Erste Stimmen aus den Reihen von NUPES erheben dagegen Einspruch. So weist die Abgeordnete Clémentine Autain aus Seine-Saint-Denis darauf hin, dass die Verfassung nicht regle, wer den Vorsitz der Finanzkommission übernehme. Das Parlament könne sich selbst auf eine Vorgehensweise einigen. Es zähle der Wählerwille, der in den gewonnenen Parlamentssitzen für NUPES zum Ausdruck komme. Mélenchon schlug am Montagnachmittag vor, dass die gewählten Abgeordneten von NUPES sich doch als gemeinsame Fraktion konstituieren. Die jetzige Situation habe niemand kommen sehen. PCF, EELV und PS weisen den Vorschlag zurück.

Justizminister Eric Dupont-Moretti denkt bereits laut über eine Koalition mit der Le-Pen-Partei nach. Viele Optionen hat Macron nicht, um sein Programm des sozialen Kahlschlags durchzusetzen. Die bisher stärkste Oppositionspartei, die konservativen Republicains, sind zusammen mit Verbündeten auf 64 Mandate abgestürzt.

Jean-Luc Mélenchon hatte die Parlamentswahl zum „dritten Wahlgang“ der Präsidentschaftswahl erklärt. Jetzt steht der vierte an: Der Gang auf die Straße, um der rechten Parlamentsmehrheit Gegenmacht entgegenzusetzen.

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"Der König ist nackt", UZ vom 24. Juni 2022



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