Ein Vier-Parteien-Bündnis möchte die Parlamentswahl in Frankreich gewinnen und Jean-Luc Mélenchon zum Premierminister machen

Gemeinsam gewinnen

Ein Novum in der Geschichte der V. Republik: La France insoumise (LFI) und die Französische Kommunistische Partei (PCF) treten gemeinsam mit den Grünen (EERV), den Sozialdemokraten (PS) sowie fünf Kleinparteien in einem Wahlbündnis zur Parlamentswahl im Juni an. Die vier Parteien hoffen, zusammen die Mehrheit in der Assemblée nationale zu gewinnen und den wiedergewählten Präsidenten Emmanuel Macron dazu zu zwingen, Jean-Luc Mélenchon (LFI) zum Premierminister zu ernennen. Das Bündnis firmiert als Nouvelle Union Populaire écologiste et sociale (NUPES, „Neue ökologische und soziale Volksunion“).

Die Verhandlungen für dieses Wahlbündnis hatte Jean-Luc Mélenchon initiiert. Zehn Tage, nachdem der LFI-Kandidat als Drittplatzierter den Einzug in die Stichwahl um das Präsidentenamt knapp verpasst hatte, bat er die Wähler in einem Interview mit dem Fernsehsender „BFM“, ihn zum Premierminister zu machen. Der wird in Frankreich vom Staatspräsidenten ernannt, schlägt die Minister vor und leitet die Regierungsgeschäfte. Er darf dem Parlament Gesetzesinitiativen vorlegen und den Verfassungsrat anrufen. Der Premierminister ist auf eine Mehrheit im Parlament angewiesen. Wenn diese Mehrheit gegenüber dem Präsidenten in Opposition ist, ist der Premierminister besonders mächtig. Der Staatspräsident kann dann nur noch Außen-, Verteidigungs- und Europapolitik gestalten. Darum geht es NUPES: Macrons Macht so weit wie möglich zu beschneiden, um die asozialen Schweinereien, die der Sonnenkönig vor der Wahl „versprochen“ hatte, zu verhindern.

Mélenchon war für seinen Vorschlag belächelt worden. Zu unterschiedlich die Parteien und ihre Positionen, die sich nun doch zusammengefunden haben. Mehrere Faktoren haben dieses historische Bündnis ermöglicht: Die Unbeliebtheit Macrons (viele Wähler haben ihn im zweiten Wahlgang nur gewählt, um die Faschistin Le Pen zu verhindern), die Stärke Mélenchons, die Sichtbarkeit der PCF im Wahlkampf, das unerwartet schlechte Abschneiden des grünen Kandidaten Yannick Jadots im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl und die krachende Niederlage von Anne Hidalgo (PS).

Das Abkommen zwischen LFI und EERV war das erste, das Mélenchon unterschrieb. Die Einigung mit den Grünen sorgte für mehr Aufsehen als die kurz darauf mit der PCF. Am längsten dauerten die Verhandlungen mit der PS. Eine Fraktion um den ehemaligen Präsidenten François Hollande wollte die Einigung unbedingt verhindern. Der Erste Sekretär der PS, Olivier Faure, setzte sich schließlich durch: Am 5. Mai stimmten 107 Mitglieder des Exekutivrats für eine Teilnahme am Wahlbündnis – bei 101 Gegenstimmen und 24 Enthaltungen.

Taktisch zentral ist die Aufteilung der Wahlkreise. Gelingt es keinem Kandidaten eines Wahlkreises, im ersten Wahlgang am 12. Juni eine absolute Mehrheit zu erzielen, treten diejenigen Kandidaten, die mindestens 12,5 Prozent der Stimmen bekamen – mindestens die beiden erstplatzierten – im zweiten Wahlgang am 19. Juni gegeneinander an. Die Aufteilung der Wahlkreise verhindert also, dass Kandidaten an NUPES beteiligter Parteien in Konkurrenz zueinander treten. So tritt etwa die PCF in 54 Wahlkreisen an. Elf davon gingen bei der letzten Wahl 2017 an PCF-Kandidaten. In mindestens fünf weiteren sind Wahlsiege von PCF-Kandidaten zu erwarten, in zehn weiteren sind Siege möglich mittels Stimmen, die ohne Wahlbündnis wohl an die Konkurrenz gehen würden. 15 Abgeordnete sind notwendig, um in der Nationalversammlung eine Fraktion bilden zu können.

Jede beteiligte Partei soll im Parlament eine eigene Fraktion unter bisherigem Namen bleiben. Das soll die Eigenständigkeit der Bündnispartner wahren. Dennoch ist NUPES kein reines Wahlabkommen. Das Bündnis tritt mit einem gemeinsamen Programm an, das für die fünfjährige Legislaturperiode gilt und die Grundlage für ein Regierungsprogramm bilden soll, so der Wahlsieg gelingt. Darin wird gefordert:

  • Sofortige Erhöhung des Mindestlohns auf 1.400 Euro netto pro Monat, Absenkung des Rentenalters auf 60 Jahre für alle, Preisbremse für Produkte des täglichen Bedarfs, Ausrottung der Armut
  • „Rückeroberung“ des öffentlichen Dienstes samt neuer Arbeitsplätze vor allem in Gesundheit und Bildung, Stärkung des Warenverkehrs auf der Schiene, sozialer Wohnungsbau nach ökologischen Kriterien, Einfrieren der Mieten auf niedrigerem Niveau als heute
  • Wiederverstaatlichung der Energiekonzerne EDF und Engie, der Autobahnen und Flughäfen
  • neue Mitbestimmungsmöglichkeiten für Beschäftigte
  • Wiedereinführung der Vermögenssteuer und gleiche Besteuerung von Kapital und Arbeit
  • Verstaatlichung einiger großer Banken, um die soziale und ökologische Transformation Frankreichs zu stemmen
  • Schaffung einer VI. Republik, um die Macht des Präsidenten zu beschneiden, Bürgerrechte zu stärken und Volksabstimmungen möglich zu machen
  • EU-Regeln zu ignorieren, soweit sie der Umsetzung des Programms im Weg stehen
  • Diplomatie im Dienste des Friedens unter Achtung der territorialen Integrität aller Länder.

Ein fortschrittliches Programm mit einigen konkreten Zielen also, das in wesentlichen Punkten die Handschrift von LFI und PCF trägt.

Können die Franzosen im Juni den Sozialismus wählen? Sicher nicht. Das Wahlbündnis NUPES greift aber Kritik an der Zersplitterung fortschrittlicher Kräfte auf und kombiniert geschickt die Stärken der beteiligten Parteien. Frankreichs Politik ist in den letzten Jahrzehnten stramm nach rechts marschiert. Die neue Einigkeit motiviert Aktivisten und linke Wähler – 86 Prozent von ihnen haben sich ein solches Bündnis gewünscht.

Neben dem Wahlergebnis wird der Druck der Gewerkschaften entscheiden, wieviel von ihrem Programm NUPES umsetzen kann.

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"Gemeinsam gewinnen", UZ vom 13. Mai 2022



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