AfD-Parteitag: Kurs auf Regierungsübernahme 2025

Der „Sozialpatriotismus“ der Rechten

In den Vorankündigungen der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) war ein vor allem programmatischer Parteitag angekündigt worden. Die Sozialpolitik und die Verabschiedung eines lange in der Partei diskutierten Rentenkonzepts solle, so verkündete die Partei, die Debatten am letzten Novemberwochenende im nie in Betrieb genommenen „Schnellen Brüter“ in Kalkar beherrschen.

Die Schlagzeilen in den Tagen danach waren allerdings beherrscht von dem, was die „Frankfurter Allgemeine“ (FAZ) am 30. November als „Wutrede“ und die für die Selbstverständigung des rechten Lagers in Deutschland wohl wichtigste Zeitung, die „Junge Freiheit“ am 4. Dezember als „Gardinenpredigt“ bezeichnete: Der Ko-Bundesparteivorsitzende Jörg Meuthen ging frontal nicht nur auf jene innerhalb der Partei los, die „gerne weiter Revolution oder Politkasperle spielen“, sondern zog im weiteren Verlauf seiner Rede auch den Fraktionsvorsitzenden und Mitgründer der Partei, Alexander Gauland, in seine „Gardinenpredigt“ mit ein: „Ist es wirklich klug, im Parlament von einer ‚Corona-Diktatur‘ zu sprechen? Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag heute wohl auch kaum abhalten.“

Nun gibt es in diesem Land eine bis in die reformistische Linke hinein anzutreffende Feixerei über jeden Streit innerhalb des rechten Lagers, die sich aus der Vermutung speist, solcher Streit könne die weitere Stärkung der AfD bremsen oder gar umkehren. Das hat nicht nur bisher nicht funktioniert. Die kindliche Freude über deren Streit verstellt den Blick auf Manöver innerhalb dieser Formation bei ihrem Versuch, die Politik der Bundesrepublik künftig nicht nur aus der Opposition, sondern aus der Regierung heraus zu gestalten – und zwar als stärkste Partei einer künftigen Regierungskoalition.

Die Rede des anderen Ko-Vorsitzenden der Partei, Tino Chrupalla, steckte hinter der lauten Wirtshausschlägerei zwischen dem Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke, Meuthen und Gauland den Kurs klarer ab, der in Kalkar beschlossen wurde: Nach dem Herausstellen des Stolzes, anders als die CDU und alle anderen Parteien bewiesen zu haben, dass es auch unter Corona-Bedingungen möglich sei, in Präsenz „Demokratie zu leben“, einem lauten Bekenntnis zum Grundgesetz und viel Lob für die „Gründungsväter der Bundesrepublik“ konzentrierte er sich auf den schon erwähnten sozialpolitischen Leitantrag, der mit wenigen Änderungen schließlich mit fast 90 Prozent der Stimmen angenommen wurde. Der enthalte ein klares Bekenntnis zum Umlageverfahren der „Gründungsväter“. Dieses Verfahren sei zu verteidigen – auch gegen „Rot-Grün“, die „die gesetzliche Rente gekürzt und die Menschen zum Riestern“ gezwungen hätten. Die AfD sei „sozial, ohne rot zu werden“. Sie fordere und fördere, wie es Höcke später formulierte, „Sozialpatriotismus“. Konkret sollen künftig allen deutschen Staatsbürgern pro eigenem Kind 20.000 Euro Rentenbeitrag ohne Verminderung der Rentenansprüche erstattet werden und daneben sollen aus Steuermitteln „für jedes Kind deutscher Staatsbürgerschaft, das seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat“ bis zum 18. Lebensjahr pro Jahr 100 Euro auf ein Spardepot eingezahlt werden.

Die Partei selbst lässt sich auf ihrer Website Zeit, dieses Programm propagandistisch zu verarbeiten – dort beherrscht die Freude über ihren Sieg gegen die Erhöhung der Rundfunkgebühren Bild, Ton und Wort. Das wird sich spätestens im Vorfeld der Bundestagswahlen ändern. Wer diese Partei immer noch unterschätzt, hat die Gefahr, die von ihr droht, immer noch nicht verstanden. Sie hat in Kalkar die Voraussetzungen dafür geschaffen, mit Sozialdemagogie weiter zu punkten, ihre Stellung als stärkste parlamentarische Oppositionspartei im Herbst auszubauen und von dieser Stellung aus den Kampf gegen die künftige Regierungskoalition von CDU und Grünen so zu führen, dass sie weitere vier Jahre später dann mit der CDU in der Regierung sitzt – möglichst nicht als Junior-, sondern als Seniorpartner. Das Rentenprogramm wird ihr helfen, in diese Position zu gelangen, danach kann es in die Tonne getreten werden.

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"Der „Sozialpatriotismus“ der Rechten", UZ vom 18. Dezember 2020



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