Der französische Präsident wettert in China gegen die Abhängigkeit der EU von den USA und deren Dollar

Deutsches Entsetzen über Macron

Wenn Norbert Röttgen auf Twitter einen Wutanfall austobt, muss etwas Positives in der internationalen Politik geschehen sein. Am Montag ramenterte der CDU-Außenpolitiker im Kurznachrichtendienst fünf Mal herum, etwa: „Macron hat es geschafft, aus seiner China-Reise einen PR-Coup für Xi und ein außenpolitisches Desaster für Europa zu machen.“ Hübsch auch: „Macrons Politik führt Europa in eine geopolitische Sackgasse. Sie führt nicht zu Souveränität, sondern zu Isolation.“

Was war geschehen? Zunächst ein unspektakulärer gemeinsamer Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Frankreichs Präsident in Peking am 6. April mit zweitägiger Verlängerung für Macron. Die Deutsche hatte vorab routinemäßig die chinesischen Gastgeber beleidigt und diese am 30. März in einer „Grundsatzrede“ sinngemäß für kommunistisch bekloppt, aber leider wichtig erklärt, was aber so nicht bleiben könne. China nahm es mit Humor. Sein EU-Botschafter Fu Cong ließ sich in der „New York Times“zitieren: „Ich hatte den Eindruck, als wenn zwei Leute miteinander streiten. Diese Zweideutigkeit bedeutet, dass Europa keine kohärente Politik gegenüber China formuliert hat.“

Springers Tageszeitung „Politico“ berichtete von der Ankunft beider: „Macron erhielt diese Woche in Peking das volle Ritual des roten Teppichs, wurde bei einem Staatsbankett gefeiert und mit Militärparaden und Kanonenschüssen auf dem Platz des Himmlischen Friedens begrüßt. Als Macrons Flugzeug landete, begrüßte ihn Chinas Außenminister persönlich. Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ankam, holte sie der Umweltminister ab – am regulären Passagierausgang.“ Ma­cron sprach insgesamt sechs Stunden mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping, der ihn am 7. April – seltene Ehre – ins südchinesische Guangzhou begleitete. Von der Leyen hielt nach einem Dreiertreffen mit Xi Jinping und Macron eine Pressekonferenz in der Pekinger EU-Vertretung ab, auf der sie ihr Anti-China-Garn abspulte, und ward tagelang nicht mehr gesehen. Macron twitterte am 7. April: „Es lebe die Freundschaft zwischen China und Frankreich!“ Zufriedenstellend Geschäftliches meldeten die etwa 50 Wirtschaftsvertreter in seinem Gefolge: Airbus will seine Produktion in China verdoppeln, der Energiekonzern EDF beteiligt sich an einem Offshore-Windpark in Jiangsu, Alstom, L’Oréal und andere schlossen Verträge ab.

Den außenpolitischen „Kracher“ hob sich Macron für den Flug von Peking nach Guangzhou am selben Tag auf: Im Kapuzenpullover sprach der Mann, der sich gern Generalstreiks an den Hals holt, mit dem Sender „France Inter“, der Zeitung „Les Échos“ und „Politico“. Es dauerte bis Ostermontag, dann hatte offenbar „Bild“ dem Röttgen gesteckt, was der Franzose verbrochen hatte. Zum Beispiel so etwas: „Haben wir ein Interesse an einer Beschleunigung in der Taiwan-Frage? Nein. Das Schlimmste wäre es, zu denken, dass wir Europäer Mitläufer sein und uns dem amerikanischen Rhythmus und einer chinesischen Überreaktion anpassen müssten.“ Europa müsse „aufwachen“. „Unsere Priorität kann es nicht sein, uns der Agenda von anderen in allen Weltregionen anzupassen.“ Europa riskiere, „zum Vasallen zu werden, während wir der dritte Pol sein können, wenn wir ein paar Jahre Zeit haben, ihn aufzubauen“. Es dürfe nicht in „die Falle“ blinder Gefolgschaft gegenüber Washington gehen.

„Politico“ zitierte am Montag weiter: „Die Europäer schaffen es nicht, die Krise in der Ukraine zu lösen, wie können wir glaubwürdig über Taiwan sagen: Passt auf, wenn ihr etwas Falsches tut, werden wir da sein? Wenn ihr wirklich die Spannungen erhöhen wollt, ist das der beste Weg.“ Das „große Risiko“ für Europa bestehe darin, „in Krisen hineingezogen zu werden, die nicht die unseren sind, was uns daran hindern würde, unsere strategische Autonomie aufzubauen.“ Die sei vor fünf Jahren noch ein Hirngespinst gewesen, heute aber Teil der EU-Agenda. Die EU habe jedoch ihre Abhängigkeit von den USA in den Bereichen Rüstung und Energie erhöht und müsse sich nun auf den Ausbau ihrer Verteidigungsindustrie konzentrieren. Und sie sollte ihre Abhängigkeit von der „Extraterritorialität des US-Dollars“ verringern: Wenn jetzt ein Konflikt zwischen den USA und China ausbreche, „werden wir weder Zeit noch Mittel haben, unsere strategische Autonomie zu finanzieren, und zu Vasallen werden“. Und weiter: „Wir wollen bei kritischen Themen nicht von anderen abhängig sein. An dem Tag, an dem Sie keine Wahl mehr haben, wenn es um Energie oder Verteidigung geht, um soziale Netzwerke, um Künstliche Intelligenz, weil wir die Infrastruktur nicht mehr haben, verschwinden Sie aus der Weltgeschichte.“

Noch am Montag verfielen deutsche Kapitalmedien von „Bild“ („Macrons gefährlicher Kniefall vor China“) bis „FAZ“ („Macrons De-Gaulle-Moment“) in Schnappatmung. „FAZ“-Mitherausgeber Gerald Braunberger fühlte sich sogar bemüßigt, gegen Macrons Äußerungen zur EU-Abhängigkeit vom US-Dollar Beruhigungspillen zu verabreichen: China traue sich nicht, die EU sei zu schwach. Ob’s wirkt?

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"Deutsches Entsetzen über Macron", UZ vom 14. April 2023



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