Zur Tarifrunde Stahl

Die Zeit drängt

Die IG Metall geht mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich in die Tarifrunde der Stahlindustrie. Die Absenkung von 35 auf 32 Stunden in der Woche soll einen Einstieg in die 4-Tage-Woche ermöglichen, so die Gewerkschaft. Drei Vierteln der Beschäftigten sei das Thema wichtig, zudem sei die Verkürzung der Arbeitszeit ein wichtiger Beitrag zur Sicherung von Arbeitsplätzen.

Es gibt weitere vernünftige Argumente, die von der IG Metall angeführt werden: Kürzere Arbeitszeiten bedeuten weniger krankheitsbedingte Ausfälle und sie machen die Stahlbranche attraktiver für Fachkräfte, die für eine erfolgreiche Transformation dringend gebraucht werden. Es scheint fast so, als wolle die IG Metall den Kapitalisten klar machen, dass kürzere Arbeitszeiten auch in ihrem Interesse wären. Tatsächlich ist es so, dass Arbeitsintensität und Produktivität bei geringerer Wochenarbeitszeit häufig ansteigen.

Aber die Kapitalvertreter stellen sich taub, lassen sich nicht von ihren unmittelbaren Interessen abbringen. Der „Arbeitgeberverband Stahl“ lehnt eine Verkürzung der Arbeitszeit ebenso entschieden ab wie die IGM-Forderung nach 8,5 Prozent mehr Lohn. Und BDA-Chef Steffen Kampeter ist schon seit Monaten mit seinem Mantra „Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit“ auf Tour. Lust auf Arbeit kommt bei ihm auf, wo länger und flexibler gearbeitet werden muss. Das Bewusstsein dafür müsse schon in der Schule geschaffen werden, so Kampeter. Diese Position ist nachvollziehbar. Denn das Kapital und seine Vertreter kennen nur ein Kriterium dafür, was vernünftig ist: den Profit.

Es wäre zwar möglich, auf den Gedanken zu verfallen, dass der Fachkräftemangel Konzerne doch dazu veranlassen müsste, bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen und mehr Lohn zu zahlen. Auch mit Blick auf die hohe und steigende Arbeitsproduktivität wäre Arbeitszeitverkürzung geboten. Doch das Kapital bleibt uneinsichtig und wähnt sich in der Offensive.

Aufgrund der krassen Preissteigerungen kann es sich keine Kollegin und kein Kollege leisten, Arbeitszeitreduzierung durch Lohnverzicht zu erkaufen – auch nicht in der Stahlindustrie. Die IG Metall wird sich darauf nicht einlassen können, will sie nicht massiven Unmut in den eigenen Reihen hervorrufen. Das bedeutet: Eine weitere harte Tarifauseinandersetzung steht bevor. Die jüngsten Tarifrunden haben gezeigt, dass selbst kleine Erfolge ohne das Mittel des unbefristeten Streiks kaum durchzusetzen sind.

  • Aktuelle Beiträge
Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Die Zeit drängt", UZ vom 15. September 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Herz.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit