Der russische Außenminister hat Afrika besucht

Eine andere Zeitenwende?

Nachdem der „Wertewesten“ den umfassenden Sanktions- und Propagandakrieg eröffnet hat, um „Russland zu ruinieren“, hat sich das Interesse der russischen Führung zunehmend dem Globalen Süden – und dabei speziell den asiatischen, arabischen und afrikanischen Staaten – zugewandt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow besuchte in der letzten Woche Ägypten, Kongo, Uganda und Äthiopien. Die strukturelle Energie-, Nahrungs- und Düngemittelkrise des Globalen Südens hat sich infolge der Sanktionsoffensive des „Wertewestens“ und der darauf aufsetzenden Agrar- und Rohstoffspekulation noch einmal massiv verstärkt. Die Probleme sind unübersehbar. Die Erwartungen und Hoffnungen der afrikanischen Führer sind entsprechend hoch. Russland bereitet den zweiten russisch-afrikanischen Gipfel für 2023 vor. Im Gegensatz zu den Sanktionsgipfeln des Westens wird es hier um soziale und ökonomische Entwicklungsperspektiven gehen, um Unabhängigkeit von den Bevormundungen durch den „Wertewesten“.

Russland ist nicht nur einer der wichtigsten Fossilenergie-, Mineral- und Metallexporteure, sondern auch einer der weltgrößten Weizen- und Düngemittelexporteure. Ohne Russland, ohne den Handel mit Russland, ist eine progressive Wirtschaftsentwicklung kaum vorstellbar. Das ist gerade dabei, ins Bewusstsein der arrogant-überheblichen europäischen Staaten und ihrer deutschen Führungsmacht einzusickern und wird ihnen in den nächsten Monaten schmerzlich bewusst werden.

Lawrow machte noch einmal klar, dass der immens gestiegene Erdgaspreis an den Spotmärkten – er nannte die Zahl von 2.200 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter – nichts mit den in den langfristigen Lieferverträgen mit Russland vereinbarten Festpreisen zu tun habe. Wer aus der sicheren Versorgung mit russischem Pipelinegas aussteigen und am Spotmarkt kaufen will, muss über ein gut ausgestattetes Bankkonto verfügen, wenn dort denn überhaupt etwas zu bekommen ist.

Es sei eine geschichtliche Phase gekommen, so Lawrow, in der man wählen müsse. Entweder der vom Westen aufgezwungenen „regelbasierten Ordnung“ zu folgen, in der es nur eine Regel gebe: den Anordnungen aus Washington zu folgen oder bestraft zu werden. Oder den Prinzipien der UN-Charta zu folgen, die besagen, dass die Vereinten Nationen auf dem Prinzip der souveränen Gleichheit ihrer Staaten beruhen. Dieses Prinzip souveräner Gleichheit bedeute, dass jeder Staat das Recht habe, sein ökonomisches, soziales und politisches System selbst zu wählen. Gegenwärtig sei Russland der erklärte Feind, China sei das nächste Ziel. Alle Prinzipien des Westens – freier Markt, fairer Wettbewerb, Unantastbarkeit des privaten Eigentums, Vermutung der Unschuld und Weiteres mehr – seien in den Orkus geworfen worden, als es darum ging, Russland zu bestrafen. Ein deutliches Signal sei aber auch, dass sich – mit Ausnahme von zwei oder drei Staaten – trotz des gewaltigen Drucks aus Washington niemand in Afrika, Lateinamerika und Asien den vom Westen diktierten Sanktionen angeschlossen habe.

Im April 1955 fand auf Initiative von Indien, Indonesien, Pakistan, Burma (heute Myanmar) und Ceylon (heute Sri Lanka) in der indonesischen Stadt Bandung eine asiatisch-afrikanische Konferenz statt. Die 29 Staaten der ersten Bandung-Konferenz begründeten inmitten der Hochphase des Ersten Kalten Krieges eine sich rasch verbreiternde Unabhängigkeits- und Blockfreien-Bewegung. Im Prozess der systematischen Zerstörung des Roten Oktober verloren auch die Blockfreien ihr Momentum. Der Zweite Kalte Krieg, den der kollektive Westen nun gegen Russland losgetreten hat und der schon bald gegen China erweitert werden soll, könnte durchaus die kritische Masse für eine zweite, selbsttragende Unabhängigkeitsbewegung erzeugen. Die kollektive Weigerung des Globalen Südens, sich den Direktiven aus Washington zu beugen, deutet genau diese Zeitenwende an.

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"Eine andere Zeitenwende?", UZ vom 5. August 2022



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