Bundespolitik treibt Asyldebatte zwischen Bezahlkarte und Arbeitszwang voran

Erschwindelte Entwertung

Wenn es darum geht, Flüchtlingen das Leben in Deutschland schwer zu machen, kennt der Ideenwettbewerb von der AfD bis zu den Grünen keine Grenze. Der ostthüringische Landkreis Saale-Orla testet gerade die Arbeitspflicht für Migranten, 80 Cent pro Stunde. Wer nicht will, dem wird der monatliche Regelsatz nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) von 460 Euro auf 280 Euro gekürzt. Alles aus Sorge für die ausländischen Mitbürger, denn die können nach den Worten des CDU-Kreissprechers jetzt „davon profitieren, dass sie eine sinnstiftende Tätigkeit haben, die ihnen den Alltag strukturiert“.

Durchaus keine neue Idee. Seit 1993 steht die Arbeitspflicht im Paragraf 5, Absatz 3 AsylbLG. Auch aufrechte Sozialdemokraten wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil halten den Arbeitsdienst für „Menschen während der mitunter langen Wartezeit in Sammelunterkünften“ für ratsam. Die Instrumentalisierung von Geflüchteten als Lohndrücker ist Programm und die SPD bleibt sich treu: Schon Ende 2015 schlug die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles vor, für 100.000 Flüchtlinge „1-Euro-Jobs“ zu schaffen, um sie „an den Arbeitsmarkt heranzuführen“.

Demnächst werden Flüchtlinge also mit 80 Cent pro Stunde an den Arbeitsmarkt gewöhnt. Zusätzlich führen die Bundesländer ab Sommer die Bezahlkarte für Asylbewerber ein. Barzahlungen sind dann komplett unmöglich oder bis zu einer Höhe von 50 Euro noch erlaubt – jedes Bundesland darf das nach Gusto entscheiden. Überweisungen auf Konten außerhalb des Asylbezirks oder gar ins Ausland wird es nicht mehr geben. Von den Verfechtern der Bezahlkarte wird dabei als zentrales Argument immer wieder ein Betrag von 7,1 Milliarden Euro ins Feld geführt, den Asylsuchende angeblich im Jahr an ihre Familien in den Herkunftsländern überweisen.

Leistungen nach dem AsylbLG liegen 18,3 Prozent unter dem Bürgergeld und nur ein Teil hiervon wurde bisher bar ausgezahlt. Nach den Aufzeichnungen der Bundesbank geht das Gros der im Jahr 2023 ins Ausland abgeflossenen 7,1 Milliarden Euro (im Bankenjargon „Remittances“), nämlich 75 Prozent, auf innereuropäische Konten – überwiesen von EU-Ausländern, die ohnehin keinen Status als Asylsuchende in Anspruch nehmen können. Auch die zusätzlich auf ukrainische Konten geflossenen 451 Millionen Euro stammen aufgrund des privilegierten Aufenthaltsrechts für Ukrainer nicht von Asylsuchenden. Bleiben folglich nur noch etwa 1,5 Milliarden Euro, die tatsächlich von geflüchteten Nicht-EU-Ausländern stammen könnten. Die Bundesbank räumt ein, ihr sei es nicht möglich festzustellen, welchen ausländerrechtlichen Status der jeweilige Überweisende habe.

Am Beispiel Afghanistans zeigt sich, was das heißt: Von den 385.000 in Deutschland lebenden Afghanen sind etwa 40 Prozent erwerbstätig, ein etwa gleich hoher Prozentsatz bezieht Arbeitslosengeld, Bürgergeld oder befindet sich in Aus- und Weiterbildung. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme, das verbleibende Fünftel der im Asylverfahren befindlichen Afghanen sorge mit Zahlungen aus dem AsylbLG-Taschengeld für einen Zufluss von insgesamt 139 Millionen Euro nach Afghanistan schlichtweg absurd und zudem durch nichts belegt. Das ganze Konstrukt zur Einführung der Bezahlkarte beruht auf einem Schwindel. Übrig bleibt die Disziplinierung der Flüchtlinge und ein Almosen von 80 Cent, das nicht nur Flüchtlingen zeigen soll, was eine Stunde Arbeit im Deutschland des Jahres 2023 „wert“ sein kann.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Erschwindelte Entwertung", UZ vom 8. März 2024



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