Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt? Zwei konkrete Beispiele

Typisch deutsch

Plänen der Bundesregierung zufolge sollen Geflüchtete künftig schneller in den Arbeitsmarkt „integriert“ werden. „Raus aus dem Sozialsystem, rein in die Beschäftigung muss doch die Devise sein“, schwadronierte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei der Vorstellung des Maßnahmenpakets Anfang November in Berlin.

Welche „Chancen“ auf die Geflüchteten warten, die künftig wohl früher vom Arbeitsverbot entbunden werden, zeigen zwei aktuelle Beispiele. Sie sind typisch für beide Branchen. Von Lebensmittel-Lieferdiensten und Kurierdiensten ist bekannt, dass sie gezielt Geflüchtete anwerben und die Arbeitsbedingungen dort besonders mies sind.

Dauerüberwachung in Echtzeit, ständiger Druck, dafür gibt es unfaire Bezahlung – oder gar kein Geld. So ging es Muhammad. Der 37-Jährige kommt aus Pakistan und lebt in Berlin. Von November 2022 bis Februar 2023 arbeitete er für den Lieferdienst Wolt. Er verklagt das finnische Unternehmen, weil er um seinen kompletten Lohn geprellt wurde. Seine Geschichte erzählt er in der SWR-Doku „Liefer-Sklaven: Inside Wolt & Lieferando“, ausgestrahlt am 31. Oktober. Angestellt wurde er nicht von Wolt selbst, sondern von einem Berliner Handyladen, der sich als Subunternehmer und Partner von Wolt darstellte. Seine Arbeit für Wolt kann er belegen: Fotos aus der Zeit zeigen ihn mit dem klobigen Lieferrucksack des Unternehmens, die App für die „Rider“ genannten Kurierfahrer von Wolt hat er noch immer auf seinem Smartphone installiert. Wolt behauptet, nie mit dem Handyladen zusammengearbeitet zu haben und Muhammad nicht zu kennen. Dass das Unternehmen mit Subunternehmern arbeitet, ist zumindest für Berlin, Frankfurt am Main und Hamburg belegt. Und Muhammad weiß von gut 100 weiteren Ridern, die um ihre Löhne betrogen wurden. Unternehmen wie Wolt und Lieferando, sagt der Soziologe Patrick Feuerstein, nutzten die prekäre Lage von Migranten wie Muhammad aus.

Diese Erfahrung hat auch Adil Moghadam gemacht. Er flüchtete aus Syrien und heißt eigentlich anders. Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ), die am 7. November über ihn berichtete, möchte ihn schützen. Moghadam hatte schon in Syrien als Kurierfahrer gearbeitet. In Osnabrück machte der Familienvater einen Lkw-Führerschein und heuerte dann bei einem örtlichen Logistikunternehmen an. Im Oktober 2022 wechselte er zu AND Kurierdienst, wo Freunde von ihm arbeiteten. Dort musste er teils zwölf Stunden durchfahren – ohne Pause. Von Anfang an wurde Moghadam unpünktlich bezahlt. Im Januar dieses Jahres fehlten dann 400 Euro ganz, ab April wurde er gar nicht mehr entlohnt. Tankrechnungen musste er aus eigener Tasche begleichen. Überdies, erzählte er der NOZ, sei er dazu aufgefordert worden, seinen Lkw bewusst zu überladen.

Schließlich zog er vor das Arbeitsgericht, unterstützt von einer ehrenamtlichen Flüchtlingshelferin – und gewann. 6.744,69 Euro sprach ihm das Gericht zu. AND Kurierdienst hat ihm bis heute keinen Cent davon überwiesen. Moghadam musste für seine sechsköpfige Familie Bürgergeld beantragen, um nicht zu verhungern. Im Juli teilte ihm das Unternehmen mit, er könne dort fortan nicht mehr arbeiten. Der Lkw, der ihm zugewiesen worden war, stand nicht mehr auf dem Firmengelände. Kontaktaufnahmen mit AND scheiterten. Eine Wirtschaftsauskunftei rät mittlerweile von Geschäftsbeziehungen mit der Firma ab, Insolvenz hat AND aber bislang noch nicht angemeldet. Da sein Arbeitsverhältnis bislang nicht gekündigt wurde, ist Moghadam rechtlich nach wie vor dort angestellt.

Mark Baumeister ist mit Fällen wie denen von Muhammad und Adil Moghadam vertraut. Er arbeitet als Referatsleiter Gastgewerbe für die Gewerkschaft NGG. Lieferdienste wie Wolt und Lieferando bauten systematisch auf Migranten, erzählt Baumeister im UZ-Gespräch. Für viele Migranten sei eine solche Anstellung ein Schritt in den ersten Arbeitsmarkt. „Wenn du zum Beispiel in einer Stadt mehrere pakistanische Beschäftigte hast, dann zieht das weitere Beschäftigte aus Pakistan an. Das sind dann in sich geschlossene Communitys.“ Das könne zwar ein Türöffner sein. Problematisch sei aber, dass die Kollegen häufig ihre Rechte nicht kennen würden. „Die wissen nicht, was ist mit Mitbestimmung, wie funktioniert das in Deutschland mit Tarifbindung, mit Gewerkschaften.“ Der Gesetzgeber lasse an der Stelle ein Lücke, kritisiert Baumeister. Beschäftigte in diesen prekären Branchen bräuchten bundesweit regionale Anlaufstellen wie die Arbeitskammern in Bremen und im Saarland. Solche Kammern könnten Schwerpunkte ihrer Arbeit auf Lieferdienste und Speditionen setzen und Beschäftigte beraten – ergänzend zu gewerkschaftlicher Arbeit. Für Gewerkschaften nämlich sei es oft schwer, Migranten zu erreichen.

Die SWR-Doku „Liefer-Sklaven: Inside Wolt & Lieferando“ ist in der ARD-Mediathek abrufbar: kurzelinks.de/insidewolt

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Typisch deutsch", UZ vom 24. November 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit