Armut ist weiblich, Protest dagegen auch

Frauen in Gelb

Von Lars Mörking

Die Gelbwesten-Proteste zeichnen sich nicht nur durch ihren langen Atem, durch Abwesenheit klarer Strukturen und durch ihre Hartnäckigkeit aus. Sie zeigen sich auch dann unnachgiebig, wenn sie mit extremer Polizeigewalt konfrontiert sind. Die Gelbwesten-Bewegung ist zudem von einer starken Präsenz von Frauen geprägt, mitunter werden eigene „Frauenmärsche“ organisiert. Dass die demonstrierenden Frauen nicht vor der Polizei kuschen, zeigte sich bei einem Frauenmarsch mit einigen hundert Teilnehmerinnen Anfang des Jahres in Paris. Die Polizei prügelte und beschoss die Demonstrantinnen mit Tränengas, zurückdrängen ließen die sich aber nicht.

Es ist die fehlende Kaufkraft, die mobilisiert. Französische Sozialwissenschaftler befragten 500 Gelbwesten und stellten fest, dass die Hälfte von ihnen zum ersten Mal politisch aktiv geworden ist, Frauen seien beinahe so stark vertreten wie Männer – anders als in Parteien und Gewerkschaften. Gerade in den ländlichen Gebieten und in Arbeiterklasse-Familien sind Frauen noch häufig diejenigen, die den Haushalt führen. Das heißt, dass sie die Ausgaben im Griff haben müssen und damit die steigenden Kosten bei Lebensmitteln, Mieten und die Benzinpreise. Die Politik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron verschlimmert ihre Lage: Millardengeschenken für die Reichen stehen höhere Abgaben und Kürzungen bei den Sozialleistungen gegenüber.

In Frankreich hat die Armut aber nicht erst mit Macron zugenommen. Das „L‘Observatoire des inégalités“ – eine unabhängige Organisation, die die soziale Ungleichheit in Frankreich untersucht –, schrieb im vergangenen Jahr in ihrem Bericht, dass die Zahl der Franzosen mit einem Einkommen von weniger als 855 Euro pro Monat von 4,4 Millionen auf 5 Millionen gestiegen ist (2006 bis 2016). Das Nationale Institut für Statistik und ökonomische Studien INSEE gibt an, dass seit 2008 die durchschnittliche Kaufkraft der Französinnen und Franzosen Jahr für Jahr um 440 Euro gesunken ist.

Die Politik Macrons verschärft die Lage für diese Menschen zusätzlich. Am stärksten von Armut betroffen sind junge Menschen unter 30 Jahren und Alleinerziehende, in der Regel Frauen.

Christiane Diemunsch, Vizepräsidentin der „Fédération syndicale des familles monoparentales“ (Vereinigung der alleinerziehenden Eltern), organisiert wöchentliche Zusammenkünfte von Sozialhilfeempfängern im östlichen Elsass. Von den Teilnehmern seien 80 Prozent Alleinerziehende und hauptsächlich Frauen, sagt sie. Diese Menschen stehen „in einem echten Kampf ums Überleben“, sagt Diemunsch. Ein Drittel der alleinerziehenden Mütter sind nach Zahlen der Organisation Oxfam von „Armut bedroht“, was nichts anderes heißt, als dass sie arm sind. Zudem besteht für Frauen laut Oxfam eine zweimal so hohe Wahrscheinlichkeit, dass ihnen nur prekäre Jobs angeboten werden.

Am vergangenen Samstag gingen in Frankreich wieder Gelbwesten zum nunmehr 16. Protesttag auf die Straße. Die Gelbwesten mobilisieren nun insbesondere für den 16. März. Am Tag zuvor endet die „große Debatte“ von Präsident Macron, mit der er als Reaktion auf die Proteste durch Frankreich tourt, um sein Volk zu beschwichtigen.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Frauen in Gelb", UZ vom 8. März 2019



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