Fünf gegen Merkel

Ein Kommentar von Lucas Zeise zum Wirtschaftsgipfel in Japan

Lucas Zeise

Lucas Zeise

Man glaubt es kaum, aber die jüngste Veranstaltung in Japan war ein Wirtschaftsgipfel. Liest man die deutsche Qualitätspresse darüber, so kann man nette Bildchen sehen, die zeigen, wie Barack Obama über den Rasen des Shinto-Heiligtums in Ise-Shima wandelt, oder wie die sieben Staats- und Regierungschefs (G7 genannt) sich den Untergang der Sonne ansehen. In einigen besonders seriösen Blättern war auch zu lesen, dass die deutsche Kanzlerin Unterstützung bei den sechs Kollegen für ihre Behandlung der Flüchtlingsfrage bekommen hatte und dass sie darob sehr zufrieden gewesen sei. Manche Zeitung verwies auch darauf, dass Russland so schnell nicht wieder zum erlesenen Gipfeltreffen (dann wieder G8) eingeladen werden würde, dass im Gegenteil an den Sanktionen gegen das Land festgehalten werden solle und dass auch China getadelt worden sei, weil es im Chinesischen Meer immer mal wieder die Marine aufkreuzen lässt.

Hatten die sechs Herren mit einer Dame vergessen, um was es bei den G7-Gipfeln eigentlich geht? Es sind Weltwirtschaftsgipfel. Sie dienen der Selbstverständigung der herrschenden Kreise in den sieben größten kapitalistischen Ländern. Ehemals muss man deswegen sagen, weil heute Länder wie China und Indien diesen sieben nicht nur an Menschenzahl, sondern den meisten der sieben auch an der Wirtschaftsleistung – wie immer berechnet – überlegen sind. Nun gibt es ja auch die Einrichtung der G20, wo neben den sieben (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Britannien, Italien und Kanada) große und wichtige Länder wie zum Beispiel Brasilien, Indonesien, Iran, Russland, Indien und China vertreten sind. In den Beratungen zu Beginn der großen Weltwirtschaftskrise spielten die G20 eine größere Rolle. Obwohl die exklusiven G7 damals begriffen hatten, dass eine solche, von ihrem Finanzkapital verursachte Krise ohne ein Arrangement mit der übrigen Welt nicht zu überstehen, geschweige denn zu bewältigen war, hielten sie am exklusiven Format der G7 fest.

Man muss das verstehen. Es gilt, sich erst einmal untereinander im feinen Club der imperialistischen Staaten zu verständigen, welche die Führungsrolle der USA anerkennen. Und, wie sowohl die Geschichte der Wirtschaftsgipfeltreffen als auch die aktuelle Situation zeigen, gibt es eine Menge, worüber zu streiten sich lohnt. Das Kommunique der Sieben beginnt mit einer Klage über das globale Wachstum, das mäßig und unter dem ‚Potentialwachstum‘ geblieben sei. Wenn man so vom ‚Potentialwachstum‘ spricht, heißt das üblicherweise, dass das wirkliche, nicht nur das theoretisch mögliche Wachstum mit geeigneten Maßnahmen angehoben werden kann. Zu solchen Maßnahmen ruft die gemeinsam diplomatisch gebastelte Erklärung als „Ise-Shima Economic Initiative“ auf.

Und was für eine Art Maßnahmen ist da gemeint? Eine Forderung nach gemeinsamen Konjunkturprogrammen werde in Ise-Shima von keiner Seite gestellt, konnte man in der immer noch seriösesten aller deutschen Tageszeitungen lesen. Sie und die anderen Blätter hören genau zu, wenn die Beamten und Berater des deutschen Finanzministeriums die richtige Interpretation eines solchen Gipfeltreffens liefern. Man muss sich aber nicht wundern, dass in nicht-deutschen Zeitungen anderes steht. Der Wortlaut der Gipfelerklärung, wo von koordinierten fiskalischen Maßnahmen und davon die Rede ist, „die Steuerpolitik und die öffentlichen Ausgaben so wachstumsfreundlich zu gestalten seien wie irgend möglich“, zeigt, dass die nicht-deutschen Zeitungen recht haben.

Wenn man es weniger diplomatisch ausdrücken will, kann man konstatieren: Fünf der sieben Gipfelteilnehmer haben es satt, dass Deutschland den höchsten Leistungsbilanzüberschuss (von acht Prozent des BIP – Bruttoinlandsprodukts) aufrechterhält, dass die deutsche Sparpolitik die EU- und Weltwirtschaft weiter bremst und damit die Krise verschärft. Unklar ist noch, was aus dem kollektiven Unmut mit dem Kurs der Regierung Merkel/Schäuble folgt. Sicher ist nur: Über die Wirtschaftspolitik streiten sie, und einig sind sie sich nur in der Gegnerschaft zu Russland und China.

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Über den Autor

Lucas Zeise (Jahrgang 1944) ist Finanzjournalist und ehemaliger Chefredakteur der UZ. Er arbeitete unter anderem für das japanische Wirtschaftsministerium, die Frankfurter „Börsen-Zeitung“ und die „Financial Times Deutschland“. Da er nicht offen als Kommunist auftreten konnte, schrieb er für die UZ und die Marxistischen Blättern lange unter den Pseudonymen Margit Antesberger und Manfred Szameitat.

2008 veröffentlichte er mit „Ende der Party“ eine kompakte Beschreibung der fortwährenden Krise. Sein aktuelles Buch „Finanzkapital“ ist in der Reihe Basiswissen 2019 bei PapyRossa erschienen.

Zeise veröffentlicht in der UZ monatlich eine Kolumne mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspolitik.

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"Fünf gegen Merkel", UZ vom 3. Juni 2016



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